29.9.11

harte themen, harte worte. oder: was die welt braucht

es scheint, als wuerden hier in kolumbien viele kaempfe und themen dieser welt, ihrer politik und ihres wirtschaftssystems ausgetragen: die andere seite der medaille, ein land, das niemanden interessiert - beziehungsweise dessen dynamiken viele fuerchten - und doch hochgradig leidtragend ist von unseren fatalen wohlstandsgewohnheiten und den politisch ausgehandelten relativen und so zerbrechlichen gleichgewichten, die auf hohen zaeunen der ausgrenzung, auf ungleichheit, hunger und mord basieren.

hier tobt der kampf und schwelt weiter - loesungen oder gar transformation sind nicht in sicht. stattdessen diskursaenderungen, diplomatie, medienstrategien, um die ausbeutung unter den deckmantel von nachhaltigkeit und entwicklung zu stecken.

eine komplexe von gewalt gepraegte geschichte, verursacht durch eine ungeklaerte land- und ressourcennutzung, durch systematische internationale ausbeutung ueber jahrhunderte hinweg, die unterdrueckung politischen widerstands und die verweigerung von demokratie. letzteres jedoch nicht nur von innen heraus sondern durch im kampf um weltmacht und ideologie, ein nebenprodukt der angst vor kommunistischen diktaturen (wie sie in kolumbien nie wahrscheinlich war), gewaltvolle systeme von komplizenschaft und der schaffung von feindbildern. deswegen wurde einige jahrzehnte lang beliebter weg eines widerstandes in kolumbien der bewaffnete kampf im untergrund. insgesamt haben hier 12 guerillagruppen existiert. spiralen sich reproduzierender gewalt.
politische opposition wurde umgebracht.

kolumbien ist leidtragend von waffenimporten, die im schatten der offiziellen kanaele gegen im norden beliebtes coca gehandelt werden, das gesunde menschen in gesunden systemen nicht in diesen mengen braeuchten. drogenkonsum, der ein mafiasystem schafft, das der korruption in allen politischen raengen tuer und tor oeffnet. millionengewinne, die in keiner bilanz sichtbar werden.

die ausbeutung in der blumen-, frucht-, wasser-, bodenschatzproduktion. riesenstaudaemme, die doerfer und ihre bewohner_innen wegschwemmen.
und damit die grosse landfrage, die die nation bewegt, so wie machthabende weltweit, die ihren einfluss auf "reiche" laender sichern muessen. hier regnet es genug. zu klimawandel und umweltzerstoerung wurde wohl wenig beigetragen.

ausbeutung ist auf dem ganzen lateinamerikanischen kontinent thema seit seiner "entdeckung" durch menschen, die glaubten, hier ihre horizonte zu erweitern und dabei brutal raubten und ideologien und lebensentwuerfe aufoktruierten. lebensentwuerfe von besitz und heldentum, von macht durch kontakte und dem recht des staerkeren, prinzipien denen wir noch immer verbunden sind. und denen traurigerweise jetzt weltweit wir menschen nacheifern.

das ganze eingebettet in einen scheinheiligen menschenrechts- und demokratisierungsdiskurs, der jedoch genauso von europa und nordamerika gefuehrt und getragen wird.

eine welt in der jede auf  ihren vorteil bedacht ist. wir sind darueber nicht hinweg, die welt ist es nicht. alles haengt zusammen, und kolumbien kann viel zu einem positiven zusammenhaengen beitragen. und kleine projekte koennen das, und wir alle.

im friedensdorf herrscht manchmal demotivation. die mitglieder werden weder von regierung, noch dem rechtssystem ernst genommen,  die repraesentant_innen fuerchten drohungen. viele wurden schon ermordet.  die gewalt foerdert das partriachale system, vieles wird von wenigen maennern entschieden. ich bin habe meine kritik an der alternative des friedensdorfes, beziehungsweise bekomme ich in meiner position sehr viel alltagsleben mit, weniger politisch - strukturelle. mutig ist das jedenfalls und bewundernswert, was die leute hier auf die beine gestellt haben und jeden tag weiter leben. es schafft eine insel, ein kleines gebiet, auf dem mit frieden experimentiert werden kann. jedoch ist die insel so wenig akzeptiert u hat so wenig ressourcen, um sich kaum mit seiner weiterentwicklung beschaeftigen zu koennen, noch damit, wirklich in frieden zu leben, da die sorgen so praesent sind. und doch wird hier schon wirklich viel getan und ein mutiger und sehr steiniger weg gegangen.

ein bisserl frustrierend ist das schon alles. und das sind ja erst meine ersten einblicke in die komplexen strukturen und historischen zusammenhaenge und ihre realen auswirkungen auf die menschen und meine arbeit hier. im dorf ist es ja keinesfalls meine rolle, kritik zu aeussern, noch strategisch etwas einzubringen. hoffentlich nutzt schon die praesenz allein, um mut zu machen.

aber es ist auch motivierend. es gibt so viel zu tun!

...und dazu gibt es den schoenen spruch, dass die welt nur veraendbar ist, indem wir etwas tun, wobei wir uns wirklich lebendig fuehlen:

Was die Welt braucht
Frage Dich nicht, was die Welt braucht. Frage Dich, was Dich lebendig macht und dann geh' hin und tue das Entsprechende. Denn die Welt braucht nichts so sehr, wie Menschen, die lebendig geworden sind.


(Don't ask yourself what the world needs. Ask yourself what makes you come alive, and go do that, because what the world needs is people who have come alive.)


John Eldredge
american christian counsellor and author (*1960)

milchkaffee in der giraffenschale

so beginne ich, sehr dankbar zu sein fuer alles, was ich hier erleben darf: ausritte, dschungeltouren, lange ersehnte regenguesse, kontakt zu lieben menschen, die ihr leben aufs spiel setzen, um hier in frieden bzw im widerstand zum krieg und zum kolumbianischen staat zu leben. ich beginne sogar, das klima zu moegen - wo kommt bloss der viele schweiss her??

ich hab es sehr gern, durchs dorf zu wandern u stehenzubleiben, wo grade jemand auf den stufen sitzt, jemand bei der tuer herausschaut, ein plaeuschchen, ein kaffee in einer plastiktasse. die sterne am abend und das erste lied, das fruehmorgens uebers dorf weht. der geruch nach holzoefen und das regenprasseln am blechdach.

ich mag unsere arbeit sehr! besonders, dass wir auf spanisch und auf englisch arbeiten, und ich mag die viele information, das viele neue! ich verbringe hier mehr zeit lesend als jemals in meinem leben - ausser in zeiten, als ich fuer pruefungen gelernt hab...
zurzeit bereiten wir uns auf treffen vor. diese woche verbringen wir grossteils mit analysen und nachbesprechung der situation des dorfes im kontext des konfliktes in den letzten monaten. das ist spannend, und ich habe ja gerne viel zu tun. und doch ist alles in einem faulen sonnentagstempo, zeit fuer ein schlaefchen zwischendurch haben wir so gut wie immer. 
ich beginne ueberblick zu gewinnen ueber die aufgaben und die veraenderungen der teamsituation der naechsten monate und freu mich darueber. 
hab ich mir das nicht gewuenscht? herausforderungen ueber die organisationsarbeit hinaus? mitleben und arbeiten direkt an der basis? 

mein koerper ist tapfer. zerstochen und zerkratzt, verschwitzt, manchmal magenflau, muss er mit seltsamen geruechen umgehen, mit meiner unruhe in der nacht *noch immer* der staendigen unsicherheit, in der sich die menschen, die wir begleiten, bewegen und mit dem vielen unterwegs sein, den sich staendig aendernden bedingungen. und die gute waldluft. unglaublich, wie schnell ich mich gewoehne. 

ich mag jetzt unser essen!! wir kochen soo viel gemuese und ich habe begonnen, sehr viel selbst zu kochen. zwiebel, tomaten, paprika, melanzani, karotten, kartoffel, bananen in allen denkbaren varianten, dazu oefters nudeln, reis oder selbst gemachte tortillas. eier koennten wir haben soviele wir wollten, aber das ist auf die dauer langweilig.

ich hab mir mein eigenes porzellanhaeferl gekauft, im vergleich zu den tassen hier riesig (so wie ein mueslischuesserl). daraus trinke ich kaffee, kakao und selber gemachten fruchtsaft. unsere nachbarn, die uns fast jeden abend besuchen, lachen darueber. da koennte ich mir ja gleich eine ganze waschschuessel kaufen, meinen sie. sie sind lustig. fuer mich bedeutet es ein haeferl voll glueck und sauberkeit.

heute frueh gabs milch! emily hatte milch gebracht, und sie bei der nachbarin eingekuehlt. was fuer ein festtag. ich trank gleich zwei giraffenschalen voller milchkaffee.


yuca & frieden


heute wurden wir gefragt, einige der maenner im dorf zu den feldern zu begleiten, wo die yuca waechst. eine weisse wurzel, die aus dem boden gerissen, in saecke verpackt, auf pferde gebunden, und anschliessend am markt verkauft wird. die dorfbewohner (meist maenner) gehen dorthin fast jeden morgen, um die yucca zu ernten und einige pferde damit vollzuladen. und da die leute momentan etwas besorgt sind um die steigende militaerpraesenz rund um unser dorf,  wurden wir gefragt, sie zu begleiten.
 
was fuer ein abenteuer! auf dem weg dorthin ritten wir auf den ruecken der mulis (kreuzung pferd/esel), die beim abstieg die saecke voller yuca tragen mussten. im schatten der kakaofelder, die der friedensgemeinde gehoeren, stiegen wir einen schmalen pfad hinauf, schoen und ruhig und natuerlich auch matschig, wie alle wege hier. so ein weites grosses land. durch graeben und baeche und durch viel gruen. alles lebt.

faszinierend, dass es das ganze jahr lang yuca gibt.
fuer einen sack, 60 kg, bekommt man am markt 30.000 pesos, das sind etwa 12 euro. auf meine frage, ob das ein guter preis ist, sagen sie: ja, fuer den, der die yuca kauft schon, fuer uns nicht. so viel arbeit fuer einen sack yuca: 45 min hinaufgehen mit den pferden, sie aus der erde reissen und ernten, auf die pferde hieven, hinuntergehen ins dorf (wieder 45 min), hinuntergehen zum markt (2 h), wieder hinaufgehen…

sie haben uns gerne dabei. ein grundsatz unserer begleitung im dorf ist, dass wir nicht mitarbeiten. wir geben den raum, um sichere arbeit verrichten zu koennen.
wir reiten mit und scherzen mit den leuten, waehrend sie die yuca aufklauben und aufs pferd binden. emily mit strohhut und einer kamera, die wohl in den 1930erjahren konstruiert wurde, ich mit einem bananenblatt am kopf und vielen fragen. wem das land gehoert. das ist gemeinschaftsland, bzw gehoert einer familie und wird gemeinschaftlich bearbeitet. die friedensgemeinde hat sich selbst in arbeitsgruppen eingeteilt, eine davon durften wir heute begleiten. ob es hier minen gibt. ja, kann sein ….nein, wir glauben doch nicht. oft ist es nicht so genau zu verstehen, was sie meinen, es wird viel gescherzt. sie kommen jedenfalls immer wieder hierher.

alles scheint ruhig. die militaers verstecken sich vor uns. sie haben unsere praesenz jedoch mit sicherheit bemerkt und das ist schliesslich das ziel unserer begleitarbeit.

begleitend unterwegs

vorige woche begleitete ich gemeinsam mit jon eine organization in medellin, genannt ACA, die mich sehr an die oesterr. bergbaeuer_innen erinnerte. sie begleiten, motivieren und vernetzen baeuer_innen in der region um medellin, viel empowerment/arbeit, bildungsarbeit rund um wissen ueber biolandbau und oekosolidaritaet genauso wie arbeit mit kunst und kulturprojekten.

wir waren mit den ACA leuten und einer delegationsreisegruppe der staatlichen kanadischen EZA, die die ACA finanziell unterstuetzt, unterwegs. wir besuchten das herkunftsdorf eines ACA mitgliedes. derjenige wurde von dort drei mal vertrieben, zwei mal vom staatlichen militaer und einmal von der guerilla. 2004 fluechteten alle leute aus der region in die “turnhalle” des dorfes, wo sie einige wochen lange lebten. sie wurden beschuldigt, die guerilla zu unterstuetzen, was tw auf wahren tatsachen beruhte.

der von uns begleitete ACA aktivist ist jetzt aus politischen gruenden auf der hut von polizei und militaer. er setzt sich in einem rechtsstreit fuer seinen cousin ein, der vor einigen jahren von einem wieder-ins-militaer-eingetretenen-guerilla (hier gibts einen ausdruck dafuer, diese leute werden gerne als informanten wieder rekrutiert) unschuldig, sozusagen als mutprobe, erschossen und sein toter koerper als guerillero verkleidet wurde. falsos positivos heissen die opfer dieser taktik, beliebt, um politischen opponenten oder bevoelkerung, die am falschen platz lebt von staatlicher seite aus kooperation mit bewaffneten widerstandsgruppen in die schuhe zu schieben.

...in kolumbien werden 100e solcher faelle auf die lange bank geschoben. waehrend militaerische massaker in den letzten jahren tendentiell abgenommen haben, werden andere methoden, verwendet, um widerstaendische menschen leise zu halte: mittels jurisdiktion, nicht-nachbesetzung von stellen der volksanwaltschaft….

es herrscht weitgehend straflosigkeit. morden im namen des nationalen militaers will schliesslich nicht bekannt werden. menschenrechte werden in president santos diskurs mit der welt hochgehalten.

gut, deswegen begleiteten wir diese leute. und die kanadier_innen waren aufgeregt. die situation ist so echt, wenn wir mit dabei sind, meinten sie!

der tag verlief ohne zwischenfall, keine polizeilichen durchsuchungen oder aehnliches. unser ausflugsbus kletterte steile gebirgshaenge hinauf, auf dem weg in den osten von antioquien, jahrelang von guerillas kontrolliertes und daher abseits von strassen stark vermintes gebiet - antipersonenminen, in den boden gepflanzt fuer feinde der guerilleros, leidtragend ist jedoch die lokalen baeuerliche bevoelkerung.

aktuell befindet sich die an bodenschaetzen und wasser reiche region im gefecht der nationalen entwicklungsplaene wie riesenstaudammprojekte, gold/ salz und mineral/minen und auch holzabbau. die regierung moechte in dieser gegend eine freie zone fuer minen zum abbau von bodenschaetzen einrichten, um internationale investoren anzulocken. die minerei (wie sagt man auf deutsch?) stellt eine der 5 saeulen in santos entwicklungsplan fuer kolumbien dar.

neben erlaeuterungen ueber die arbeit der ACA in der region und der besichtigung der EZA projekte fuehrten uns jugendliche ein kleines theaterstueck vor: mit dem inhalt, wie mit antipersonenminen umgegangen werden bzw. denen ausgewichen werden kann - ein thema, mit dem die kinder hier aufwachsen!

darueber hinaus hoerten wir persoenliche geschichten von krieg, massakern und immer wieder dem thema des vertrieben-werdens vom eigenen geliebten land.
eine frau erzaehlte von einem massaker von 16 bauern, das vor 15 jahren von paramilitaers mithilfe des staatlichen militaers begangen wurde, in dem ihr ehemann, zwei ihrer brueder, ihr cousin und ihr neffe umgebracht wurden. sie selbst hatte zu dem zeitpunkt 5 kinder, das aelteste davon 5 jahre alt, und die verantwortung fuer ein stiefkind. sie verliessen das gebiet, um dann zurueckzukommen, und wieder vertrieben zu werden. mittlerweile arbeitet sie in einem netzwerk von vertriebenen und opfern des kolumbianischen staates. zum 15 jaehigen gedenkttag wird es im november einen protestmarsch und eine feier geben, der auch viel internationale aufmerksamkeit bekommen soll.

ja, geschichten wie diese sind so praesent! die familien durchschnitten, die haeuser verlassen. das dorf, das wir besuchten, hat jetzt 6000 einwohner, vor 10 jahren hatte es doppelt so viele. viele leute gehen nicht zurueck zu ihrem ursprungsland, viele wurden ermordet oder bedroht, viele junge menschen waehlen das sicherere leben in der stadt.

es ist voll beeindruckend, wenn die leute nach dem erzaehlen dieser geschichten sagen: ja, der schmerz, der bleibt. aber es ist genau der schmerz, der uns die kraft gibt, widerstand zu leisten, aufklaerung der faelle und gerechtigkeit zu fordern!
ich hoere das, doch bleibt es unvorstellbar fuer mich.

trotz der ernsten und komplexen hintergruende genoss ich den tag sehr! meine puzzle-eindruecke von kolumbien und seiner geschichte setzten sich weiter zusammen. ich lernte, was es bedeutet, eine andere begleitaufgabe als das mitleben im friedensdorf zu leisten. ich lernte gleichzeitig die sicht der dorfbewohnerInnen kennen, als auch die der ACA aktivist_innen, und schliesslich die der kanadischen geldgeber_innen. es gab viel austausch, viel bewunderung und wuerdigung der geschichte der leute. und viele offene fragen.

wir sind verantwortlich, gesetze zu entwerfen, die die multinationalen konzerne an der ausbeutung der region hindern! sagten die kanadier_innen. fuer mich war der tag ein gutes beispiel einer gelungenen beziehung zwischen geldgeber_innen und beguenstigten im sueden. es war beziehungsarbeit und geschichtsaufarbeitungsarbeit dessen, was hier geschehen war. hinschauen auf die wunden punkte im nach aussen hin wunderschoen zu bereisenden kolumbien.

eine arbeit, so wie ich sie mir vorstelle. ich fuehlte mich so lebendig!

arbeitsweisen

wir arbeiten so professionell! ganz nah am boden und gleichzeitig professionell. authentisch. finde ich. 

bevor wir leute begleiten, geben sie uns eine offizielle anfrage, die wir schriftlich formulieren und mit den bogota team absprechen. dann beginnen wir die sicherheitsanalyse, was bedeutet, bei polizeiposten, militaerabteilungen und befreundeten organisationen anzurufen und uns ueber kuerzlich vorgefallenes und etwaige risiken in der region zu informieren. diese arbeit teilen wir im team auf, sprechen uns immer wieder ab und fuegen die gewonnenen erkenntnisse dem anfrage-dokument hinzu. scheint die aufgabe zu gefaehlich, oder legt ein teammitglied aus guten gruenden ein veto ein, lehnen wir ab. es kommt ja vor, dass wir krank oder muede sind, beispielsweise sind wir supervorsichtig mit verminten gebieten. wenn offensichtlich wird, dass minen in einer gegend gelegt wurden, wo wir direkt passieren bzw. wir uns schon sehr lange nicht mehr aufgehalten haben, lehnen wir ab.

am tag bevor die begleitung beginnt sendet das bogota team briefe an diplomatische stellen, polizei und militaer, das ueber die ziele unserer begleitung und ueber die geografischen details unserer reise informiert. so sind begleitanfragen von viel politischer arbeit begleitet, auch wenn wir uns hier im dorf befinden, warden in regelmaessigen abstaenden eben beschriebene briefe geschickt.
wir gehen immer mindestens zu zweit auf diese begleitungen, genannt accompaniment, mein neues lieblingswort. waehrend dieser haben wir immer unser notizheft dabei und nehmen staendig alles auf, was wir sehen, hoeren oder sprechen.

und danach wird ein bericht geschrieben, analysiert und an alle FOR bueros geschickt.

in unserem falle erhalten wir diese begleitanfragen immer von mitgliedern des dorfrates, dem consejo. waehrend wir hier in la union, in unserem teil  des friedensdorfes am berg leben, will der rat meist, dass wir hier so viel wie moeglich present sind. wir bekommen nicht so viele anfragen, natuerlich kommt das auf die aktuelle situation an. wir wuerden uns oft wuenschen, mehr in die umliegenden doerfer mitgenommen zu werden, wohin die leute arbeiten oder zu treffen gehen.

das bogota team erhaelt die begleitungsanfragen auch von organisationen, die kriegsopfer oder wehrdienstverweigerer vertreten.  und um die arbeit hier fuer uns vielschichtiger zu machen, duerfen wir vom dorf-team ab und zu mit je einem bogota team menschen diese begleitungen machen. 

24.9.11

reisen in kolumbien

ich war ueber eine woche unterwegs, hatte eine sehr spannende und gute zeit. reisen in kolumbien ist einfach und empfehlenswert. und es gibt so viel zu sehen, zu essen u so viele leute zu treffen. ich war in den allerschoensten landschaften auf ca 2000 m seehoehe in der naehe von medellin unterwegs. die erste wochehaelfte beruflich, was sehr motivierend war (dazu spaeter), und danach auf reisen!

in kolumbien gibts jede menge gruene berge, jede menge wasser, jede menge busse, die dich an alle denkbaren destinationen befoerdern. dazu brauchst du nur am strassenrand der gewuenschten strasse in fahrtrichtung stehen u den bussen winken, bis der richtige stehenbleibt. auch das system am busbahnhof ist einfach. eine reisestunde kostet zwischen 2-4 eur, abhaengig vom verkehrsmittel. es gibt busse in allen bequemlichkeitsvarianten und mit allen abstufungen von air condition. die meisten sind ein bisschen klapprig und heiss und spielen laute musik. in der gegend von apartado gibts vallenato und ranchero, richtung medellin gibts mehr pop, dance floor und mariachi, und reageton gibts natuerlich ueberall.

ich war in einem kleinen kolonial-doerfchen, die haeuschen fast spielzeugmaessig bunt mit symbolen bemalt. ich fand es soo aesthetisch ansprechend!! das ganze lag in einer kuenstlichen seenlandschaft, kuenstlich deshalb, weil ein stausee. mitten in der landschaft gab es einen aussichtsfelsen, dessen fast 700 stufen ich heute hinaufkletterte u mir wie ein fliegengewicht vorkam an der felswand. dann so schoene aussicht.

das mit dem essen ist so eine sache. mein magen war die ganze woche etwas verstimmt - es gibt sooo viel essen. ich bewege mich hier im bundesstaat antioquia, die einwohner_innen antioquias sind paisas genannt. sie sind sehr herzlich und etwas rundlich und ueberall gibt es viel comida paisa. das besteht aus entweder fleisch oder fisch mit den beilagen: eine gebratene kochbanane, reis, salat, kartoffel in form von sterz oder pommes frites, oft auch ein gekochtes ei oder gebackenen kaese. dazu gibts immer eine arepa, also eine dicke maisflade. manchmal gibts noch einen teller bohnen und eine knacker oder sonstige wurst dazu. auch wenn ich nicht alles esse, ist mein magen jedes mal an der grenze. es gibt wenig alternativen. einige baeckereien und natuerlich ueberall sehr leckere fruchtsaefte, nicht nur brombeere, erdbeere, banane, mango, maracuja, mandarine, orange, ananas, sondern auch guayaba, guanabana, borojo, zapote...die saefte gibts jeweils mit milch oder mit wasser. jetzt grade ist mein favorit brombeere mit milch: mmmmm.

das schoenste am reisen ist, dass es so einfach ist, kontakt zu den menschen herzustellen. ich werde sehr oft angesprochen. die kommentare und gespraeche reichen dabei von "wie gehts dir, blonde" ueber "pass auf, geh weiter innen am gehsteig" bis "hier ist die telefonnummer, ruf mich an, wenn du in die gegend faehrst, mein onkel hat dort eine finca (ein landgut)". am allerbesten war, als gestern ein junger mann auf mich zukam u mich fragte, ob ich mit ihm u seiner gruppe eine geburtstagsparty im kiosk mitten am dorfplatz feiern wollte. sie spielten alle gitarre und sangen und liessen flaschen mit wein u rum im kreis gehen. es war voll lustig. nachher als ich ueber den platz ins quartier zurueckging, wurde ich noch auf einen schnaps eingeladen, und ich fuehlte mich, als wuerden mich schon alle im dorf kennen. es war sehr interessant, mit den jugendlichen zu reden. sie studieren in medellin, wo es gerade studierendenproteste gibt, aus aehnlichen bildungsoekonomisierungsgruenden wie letzten herbst in wien. sie verloren kaum gute worte ueber die gegend von apartado, meinten, die musik dort waere schlecht, und das klima horrend. tja, da hab ich mir ja einen schoenen arbeitsplatz ausgesucht.

ueber nacht mache ich zwischenstopp in medellin, in meinem lieblings-wg-haus, wo ich mich schon sehr zuhause fuehle. es gibt buecher von allen bekannten lateinamerikanischen autor_innen und die waende sind voller wandteppiche und bunter dinge. dort wohnen leute vom red juvenil, einer jugendorganisation. sie haben vor einigen wochen eine bar in der gleichen strasse eroeffnet, soll ein autonomer und feministischer raum sein, erinnert mich ein bisschen ans tuewi, nur dass hier alles neu bemalt ist und die getraenke noch billiger sind. in dem haus gibts auch veranstaltungen, workshops, einen computerraum...und das red juvenil arbeitet mit dem ziel, jungen menschen zwischen 20-35 jahren perspektiven zu geben. sie veranstalten lesekreise, und arbeiten kuenstlerisch. ja, dahin mache ich mich gleich auf den weg, es ist fr abend, die stadt ist heute sehr verrueckt, so laut, und staendig muss ich als fussgaengerin den autos ausweichen. am weg vom busbahnhof hierher hab ich das erste mal mit dem taxifahrer diskutiert, weil er so schnell u ruckartig fuhr. danach aenderte er seinen fahrstil nicht wirklich, liess mich aber einige strassen frueher aussteigen und viel weniger zahlen.

morgen frueh holt mich der bus nach apartado ab, wo ich abgeholt werde u wir wieder ins dorf wandern. es gab sogar momente in der woche, in welchen ich einige der friedensdorfmenschen vermisst habe! also freue ich mich eigentlich und hoffe, ich bin wieder gut aufgetankt...
 
fuer reisende ist sicherlich auch das friedensdorf eine super erfahrung. schon der weg dorthin ein abenteuer. dann koennen wir zum wasserfall schwimmengehen, in der haengematte vallenato hoeren, mit den kindern spielen oder natuerlich viel lesen und kochen...ich lade euch herzlich ein, mich zu besuchen und kolumbien zu bereisen! :)

15.9.11

ueber den wandel

die gute nachricht ist, mein leben hat sich von einem tag auf den naechsten vollstaendig veraendert. und das wollte ich ja auch.
es ist, selbst als pionierin des wandels, und der vielen beschaeftigung mit dem thema alles andere als leicht, damit umzugehen.
ich staune ueber alles, was passiert, und hoffe mein koerper u meine seele vertragen das besser und besser.
naja, das dauert, das wandeln.
naechste woche ist wiedermal viel reisen angesagt, das ist eine gute wandel-aussicht.
ich denke, dass sicherheitsdenken ist ja einer der gruende fuer die vielen kriege, insoferne WANDEL WILLKOMMEN :)

acompañamiento

unsere aufgabe besteht darin, mit dem dorf zu leben und den bewohner_innen durch unsere praesenz den raum zu geben, frei zu leben und zu agieren. die friedensgemeinde selbst hat unterschiedliche teile. in dem dorf am berg, in dem wir leben, ist FOR praesent. am fusse des berges, in la holandita, einem dorfteil, wohin die gemeinde nach dem massaker 2005 vertrieben wurde, bzw ihr land geschenkt wurde, gibt es ein haus einer italienischen begleitorganisation u von pbi, diese beiden organisation gehen jedoch hauptsaechlich mit aktivist_innen direkt in begleitung mit, waehrend unsere hauptaufgabe ist, einfach in unserem dorf mitzuleben.  seit 2002, als die praesenz von FOR dort begann, ist kein soldat mehr in das dorf eingedrungen. sie gehen tw in die ausseren zaeune, wo die tiere weiden, grade zu dieser zeit ist das wieder der fall.
nur manchmal bekommen wir anfragen, reisen mit gemeindemitgliedern zu unternehmen. ausserdem reisen wir im gebiet, um information zu sammeln und an treffen und sitzungen teilzunehmen.

die internationale begleitarbeit gruendet auf einem rassistischen gedanken: dass internationales leben mit internationalen netzwerken besser geschuetzt ist, als lokales kolumbianisches leben. traurig, aber es funktioniert. es ist so ungleich, wie man sich das nur vorstellen kann. wir lernen das dorf, die lebensweise, die familien- und liebesgeschichten im detail kennen. es gibt so viele geschichten, auf die sich die leute staendig beziehen! wir wissen, wer wen mag, wer wen nicht mag. wir wissen welches kind von wem ist - und das ist manchmal schon lustig. vor ein paar tagen machten wir mit isaac eine runde durchs dorf und er erzaehlte alle geschichten, die er kannte. es ist so vielschichtig!

die internationale praesenz muss komisch sein fuer die friedensgemeindemitglieder, einerseits ein privileg, andererseits eine einmischung in ihr leben, das sie aber gerne mit uns teilen! die kinder wachsen mit so vielen auslaender_innen auf, gehen taeglich bei uns ein und aus, waehrend in benachbarten doerfern alles so ist wie ueberall sonst in kolumbien. wir bekommen taeglich vermittelt, dass unsere arbeit, also unser mit-leben dort so wichtig ist. fuer mich als neue fuehlt es sich manchmal ein wenig grenzwertig an, die intimen details ueber diese menschen zu wissen, und so genau zu sehen, wie sie leben, waehrend sie ja wirklich gar keine ahnung ueber mein leben haben koennen!

die begleitarbeit hat viele grenzen. wir stimmen nie inhaltlich oder strategisch mit, wir arbeiten nicht bei der gemeinschaftsarbeit mit, wir duerfen keine intimen beziehungen eingehen mit den gemeindemitgliedern. und ueberhaupt gehen wir nach einer zeit wieder nach hause. ich habe das gefuehl, die leute hier kennen u schaetzen jede_n einzelne_n freiwilligen in all den jahren, und sie erinnern sich auch an alle. es sind schon ueber 20 freiwillige. manchmal machen die leute eine bemerkung, dass wir ja nicht mitarbeiten duerfen, etc. die prinzipien sind jedem und jeder ganz klar.

die information fuer unsere analysen ziehen wir - wie gesagt - aus gespraechen. besuche zu machen, ist teil der jobbeschreibung. in den kuechen und hinterhoefen gibt es auch die heiklere information, die mit konflikt und unstimmigkeiten zu tun hat. oft zusammen mit essen oder kaffee. es ist ueberhaupt nicht einfach, von meiner perspektive aus, ereignisse einzuordnen. zum beispiel gab es dieses begraebnis. an meinem zweiten tag. emily und ich waren ganz kurz dort, um die lage zu untersuchen. ich hatte zu dem zeitpunkt keine ahnung, um welches begraebnis es sich handelte. meine teamkolleginnen wussten, dass es sich um eine vor ein paar monaten ermordete person handelte, deren leichnahme in der frueh im dorf angekommen war. wir interviewten die leute beim begraebnis, die nachbarn, die aelteren im dorf, die uns am naechsten stehende person des dorfrates. sie gaben unterschiedliche antworten. und es dauerte bis zu unserem naechsten treffen mit dem gesamten consejo plus nachfragen an das bogota team, worum es sich handelte. mir stellte es zwischendurch alle haare auf, u ich wuenschte, ich haette nie einen fuss auf den friedhof gesetzt.
prinzip der friedensgemeinde ist, dass alle toten gleich sind, und sie auch ermordete der konfliktparteien bergen bzw. begraben wuerden. an diesem tag wurde tatsaechlich ein commandant eines hohen ranges einer konfliktpartei bei uns am friedhof begraben. nachdem die friedensgemeinde ohnehin oft vom staatlichen militaer beschuldigt wird, verbindungen zu bewaffneten gruppen zu haben, ist das eine sehr heikle sache. darum also auch der ganze militaerauflauf rund um den zaun.

ich kann hier nicht mehr ins detail gehen, dinge wie diese kommen immer wieder vor, und die prinzipien der gemeinde sind bekannt - auch dem militaer. die prinzipien von FOR sind wieder andere. wir nehmen klaren abstand von allem, was mit gewalt zu tun hat!
    

das paradies ist gleich ums eck

die natur ist soo schoen hier. der winter hat begonnen - das heisst, die regenzeit. als ich vor ein paar tagen ins dorf hinaufwanderte, gabs am ende einen feinen regenguss - und das mit einer wunderbaren sonnenuntergangsaussicht.
das friedensdorf befindet sich auf einem hochplateau mitten im dschungel. an drei seiten gehen die huegel weiter hinauf - und nach westen ist das tal offen, richtung golf von uraba und richtung sonnenuntergang.
in dem tal fliesst ein fluss, den wir beim auf- und abstieg 3 mal queren. und das ist - jetzt, wo der regen da ist, nicht so einfach. bei trockenem wetter huepfen wir von stein zu stein ueber den fluss. heute frueh, nachdem es die letzten 3 naechte geregnet hatte, ging uns das wasser bis an die oberschenkel. das heisst: festhalten an den grossen steinen u durchwaten. danach gummistiefel ausleeren und weiter durch den matsch quatschen. ich fand die flussquerungen sehr lustig. ein abenteuer.
gestern waren wir im gleichen fluss in einem wasserloch oben beim dorf schwimmen. und das sieht wirklich aus wie in werbefilmen. sooo schoen. wir gingen 15 min in eine schlucht hinein, ueber uns ragten hohe baeume hinauf, von denen lianen u andere zweige u blaetter herunterwuchsen, und unten toste das wasser dahin u muendet mit einem kleinen wasserfall in einem kleinen becken. wir gingen dahin mit einigen kids aus der friedensgemeinde. sehr lustig!!!

lustig sind auch viele der rueckmeldungen, die ich auf meine eintraege bekomme. ein pioneerskollege schrieb mir, es wird der tag kommen, an dem ich mich nicht mehr gegen den dreck wehre, sondern sich meine fremde einstellung mit dem lokalen dreck vermischte. ich bin am anfang schon ausgewichen, freute mich ueber meine kurzsichtigkeit. jetzt versuche ich also, auf den dreck hinzusehen. hinsehen u hinhoeren ist ja schon die halbe uebung in der gewaltfreien kommunikation. ich legte mich also auf die holzbretter vors haus u starrte empathisch auf die kuhfladen mit den plastikstueckerl, vermischt vom regenwasser. sapa, die katze legte sich zu mir. ich mag sie und finde sie nicht mehr dreckig. mit der zeit schaute ich mehr auf den sonnenuntergang, und die wolkentiere, die am himmel vorbeiflogen wie grosse drachen. und zu den lieben nachbarn hinueber - die sicht dorthin ist ziemlich gepraegt von den stromkabeln u der strassenlaterne vor unserem haus, die nicht funktioniert. ein "nachbar" kam vorbei u schenkte mir eine zigarette u plauderte ein bisschen. auch zigaretten schmecken mir hier nicht wirklich (eh selten..).

spaeter bekam ich fieber. wahrscheinlich ist das gut, um zu lernen, all die bakterien auszuhalten. in der nacht droehnten alle namen der leute im friedensdorf durch meinen kopf-  namen lernen ist eine meiner taeglichen uebungen!

wenn es stark regnet, faellt der strom aus. wir rufen dann eine abteilung in medellin an, und hoffen, dass er nach ein paar h wiederkommt. an einem abend genoss ich den stromausfall sehr. wir hatten ausserdem vollmond, der durch die regenwolken hindurchschimmerte - und regen! es war gigantisch, das naturschauspiel durch die pflanzen in unserem garten zu beobachten. auch das duschen ist mit kerze viel schoener! das tut noch den rest zur kurzsichtigkeit, sodass die dusche schon fast schoen aussieht.

ja, manchmal ist es sehr lustig. staendig kommen leute in unserem haus vorbei, borgen etwas aus, bringen etwas vorbei, sagen etwas, oder lachen kurz herein. meistens finden sie unsere musik seltsam und finden es seltsam, was wir essen. wir sind trotzdem einfach ein teil vom dorf. die information, die wir von den leuten im dorf bekommen, und ihr vertrauen ist unsere sicherheit. also heissts soviel wie moeglich tratschen, dann erfahren wir, wo das militaer grade ist, wer grade von der polizei durchsucht wurde und wer am gemeinschaftsarbeitstag brav mitarbeitet u wer nicht.

ein anderer pioneers kollege schrieb: ich glaube, du hast einen richtigen kulturschock. also nicht "da gibts kein schnitzel", sondern einen richtigen. ich musste viel drueber lachen, aber ja, das stimmt. das fieber war am morgen vorbei u ich merke, wie es ein bisschen bisschen leichter wird. und obwohl ich schon spass habe im dorf und die familienzusammenhaenge u das kriegsgeschehen interessant finde, hab ich mich bisher nicht so wirklich, wirklich wohl und lebendig gefuehlt. eher demotiviert u energielos. und das ist natuerlich nicht gut. ich will mir jedenfalls noch ein paar wochen zeit gebe zum einleben, und dann sehen, wie es mir geht.

9.9.11

kommunizieren ist schoen!

liebe leser_innen. ich freu mich sehr ueber die grosse resonanz. das ist wirklich etwas, das mich da hindurchtraegt. ich glaube sowohl im sichtbaren, als auch im spuerbaren, das mit-verfolgen und die reaktionen geben mir volle kraft, machen mir klar, dass es wirklich nicht einfach ist hier, und wirklich sehr anders, als das, was ich kenne. mein referenzrahmen passt hier nicht ganz und muss sich erweitern und wird sich hoffentlich erweitern.

die positiven kommunikationserfahrungen mache ich auch hier. das team ist ein traum. isaac ist vor ein paar stunden zu mir gestossen, um das training zu vertiefen und mir geschichten zu erzaehlen. memoria historica. es geht sehr viel um hinsehen und um erinnern in dem projekt. schreckliche dinge moechten gerne vergessen werden. oder bewusst politisch strategisch unter den teppich gekehrt. wir wollen hinsehen auf die geschichte dieses dorfes, die der einzelnen familien. es gibt so viele verlassene haeuser im dorf, in der gesamten gegend. haeuser, in denen einst leute wohnten, die gehen mussten, oder gestorben sind oder getoetet wurden. jede_r im dorf hat so viel zu erzaehlen.

ich darf das alles aufsaugen und weitertragen. und zuhoeren, viel zuhoeren. ich will es schaffen, mich auf das hoeren der leute zu konzentrieren, anstatt auf das hinhoeren auf die kriegsgeraeusche.

also ab morgen gibts einen neuen dorf-anmarsch in gummistiefeln. irgendwie freue ich mich drauf. besonders, da wir jetzt eine woche lang zu viert dort leben werden, jede person mehr gibt mehr vertrauen und sicherheit.

8.9.11

kulturschock

ich habe einen kulturschock. mein rechtes auge hat ein "werm", jedenfalls ist durch staub, schweiss und kontaktlinsen rot angeschwollen. die leute sind so aufmerksam, fragen mich, ob ich krank bin. ich versuche zu erklaeren, dass ich in den letzten jahren in einer stadt gelebt habe, und die umstellung nicht so einfach ist.

in den letzten naechten habe ich kaum geschlafen. es ist schwer, mich sicher zu fuehlen in dem holzhaus. wir haben ms am weg gesehen u auch auf den feldern der community. hubschrauber fliegen quasi jeden tag in der naehe, liefern waffen, truppen, treffen vorbereitungen. es ist die ganz normale kriegssituation, weder sehr angespannt grade noch sehr entspannt. eher viel militaer praesenz. gina und emily schlafen mit ohrenstoepseln. ich will so viel wie moeglich mitkriegen, aber wenn das so weitergeht, werde ich das auch mit den stoepseln versuchen. ich verstehe unser sicherheitskonzept so, dass es durch sichtbarkeit funktioniert. auf unseren haeusern steht gross FOR und auf unseren t-shirts, die wir immer tragen. tagsueber bin ich ganz in meiner rolle, es macht mir nichts, militaers zu begegnen. - aber in der nacht sehen sie ja unsere t-shirts nicht, darum fehlt bisher mein vertrauen.

die hyienischen bedingungen sind sehr gewoehnungsbeduerftig. ich liebe ja das waeschewaschen mit der hand, aber das verbrennen unserer klopapierln, die wir lateinamerikanisch in einem kuebel sammeln u die spinnenweben ueber der dusche finde ich grenzwertig. kinder u tiere sind ueberall, nehmen alles, gehen ueberall hin, mit gummistiefeln, schlapfen oder dreck an den pfoten. unsere katze sapa isst unser essen, wenn wir es nicht gut genug verschliessen. es gibt einen hund, der unsere tampons aus dem kuebel sucht u sie durch haus traegt u dann frisst. (hoch lebe mein lunacup!).

wir essen aus plastiktellern! wow, das ist fast die groesste herausforderung fuer mich. nicht nur, dass das wasser eigen schmeckt, nein, auch das essen von plastiktellern schmeckt ein bisserl plastikern.
ich finde es ja gut, dass Fellowship Of Reconciliation keine EZA-organisation ist, die uns mit motorraedern, waschmaschinen und anderen praktischen u persoenlichen dingen hier einfliegt. wir leben also wie die leute im dorf leben. wir haben keinen kuehlschrank. es ist heiss und freucht, wir haben nicht so viele gewuerze, das gekochte essen haelt maximal bis am naechsten morgen u schmeckt dann nochmal mehr nach plastik.

manche der dorfbewohner_innen haben einen schoenen ofen. wir haben 2 gaskochplatten. eine frau im dorf hat einen kuehlschrank. manchmal koennen wir dort was einkuehlen. unter unserem wassertank in der kueche gibt es ratten. zwischen unseren haeusern laufen pferde und kuehe und schweine, fressen gras und scheissen und wuehlen im dreck. unsere katze sapa bewegt sich in dem umfeld und rennt danach ueber unsere plastikteller in den nicht-verschliessbaren kuechenregalen.

es ist nichts nie ganz sauber.

wir haben ein kleines buero, das internet verbindet sich immer wieder, und besonders in der frueh klappt die verbindung meistens.

ich mag es, die waesche mit der hand zu waschen!
ich mag unseren holzboden im holzhaus, da koennen wir allen dreck zwischen die ritzen hinunterkehren auf die erde. ich mag es nicht, dass die waende nicht bis oben abgetrennt sind in unserm holzhaus, es ist also alles ein grosser raum mit abteilungen.

ich bin momentan in apartado, freue mich ueber das schnelle internet u das geflieste bad im hotel. ein gefliestes bad!

wenn ich in kolumbianischen staedten kaffee bestelle, bekomme ich einen plastikstrohhalm dazu. ja, plastik gibts viel. nicht nur das geschirr. auch muell, zwischen dem pferdemist. im friedensdorf verbrennen sie ihn, und es gibt einen platz, wo er in der erde vergraben wird. wie ueberall auf der welt.

wir bemuehen uns, keinen muell dorthinauf zu tragen. papier verbrennen wir. im garten haben wir einen komposthaufen, und die leute fragen uns, wie das funktioniert. ich faende eine humustoilette hier sehr angebracht u viel hygienischer als ein klo, bei dem ein tank drunter installiert ist. wie und wann unser klo einmal entleert werden soll, will ich mir gar nciht vorstellen. das klo ist ein wasserklo, wir spuelen selber, schuetten wasser nach. die dusche ist eine normale dusche ohne spruehfunktion.

das wasser kommt aus tanks. manchmal bekommen die leute im dorf durchfall, wenn tierkot in die tanks kommt. die hygienischen missstaende betreffen also nicht nur die nicht an die bakterien gewoehnten internationalen begleiter_innen.

ich glaube, ich kann mich an alles gewoehnen. im moment frage ich mich, ob ich so wirklich leben will. ob ich mir von allen wunderbaren orten, die es auf der welt gibt, dieses dorf aussuche, weil es mich braucht, bzw. weil es internationale praesenz braucht. die frage ist, ob ich mich gewoehnen WILL. ich will im prinzip nicht, dass irgendjemand auf der welt so lebt. dass teil des lebens in der friedensgemeinde ein leben in der armut ist, ist traurige wahrheit. die friedensgemeinde lebt prinzipien der nicht-annahme von staatlichen geldern, mit dem hintergrund dass das staatliche militaer mehrfach an massakern an gemeindemitgliedern beteiligt war. aber auch nicht-friedensgemeindemitglieder, viele, viele menschen, leben in diesem land unter aehnlichen bedingungen. und werden dann sogar noch von ihren laendern vertrieben.

nach 5 naechten ohne viel schlaf, mit angst u geraeuschinterpretation (tiere sind so laut in der nacht!) hatte ich gestern einen tag mit vielen traenen, und mit vielen gespreachen. wieder fuehle ich mich sehr gut aufgehoben und angenommen. es ist meinen kolleg_innen aehnlich gegangen in den ersten tagen im dorf.

heute frueh bin ich mit gina in die stadt gegangen. besser gesagt: gelaufen! wir begleiteten zwei leute, den weg herunter, mussten wie ueblich eine h warten u dann hatten sie es eilig. ich gehe ja schnell. ich liebe ja gehen.
heute war ich mit einer kontaktlinse unterwegs, wegen meines geschwollenen auges, heute war ich erschoepft vom vielen nicht-schlafen. ich konnte nciht mithalten mit den anderen u bei einem versuch, ihnen nachzulaufen fiel ich volle laenge in den gatsch. hab mein knie aufgechuerft. niemand hat gewartet. (ich holte sie ein, als sie leute im dorf trafen).

ich frage mich, inwieweit ich mir selber "gewalt" antue, wenn ich mich an die veraenderten bedingungen gewoehnen WILL.

vom nicht-gut-schlafen und so-viel-schwitzen bin ich staendig hungrig! und das plastiktelleressen macht mich oft nicht ganz satt. uebrigens kochen gina u emily u auch ich wirklich gut, aber es schmeckt mir trotzdem nicht so sehr u wir haben nicht so eine grosse vielfalt an essen, im garten waechst noch nicht so viel u alles andere muessen wir selbst hinauftragen ins dorf. es ist eine seltsame und sehr ungewoehnliche situation fuer mich, dass mir das essen nicht so schmeckt!
das beste, was wir haben, ist heisse schoko, kakao waechst ja hier u auch zuckerrohr! wir haben panela, zuckerrohrmasse in grossen bloecken.

ich bleibe hier in der stadt ein paar tage und merke, wie gut das tut. ich kann ja jederzeit etwas aendern. ich habe heute mit liza telefoniert u wieder geweint. ich mag das team so. und ich mag die organisation. sie machen so grossartige arbeit. ich habe vollen - fast ehrfuerchtigen - respekt vor allen, die laenger mit der friedensgemeinde gelebt haben u denen es dabei gut gegangen ist.

der kulurschockartikel auf dem rosa hintergrund wirkt verharmlosend und das hilft mir momentan ueber die tragik hinweg. ueberhaupt ist schreiben so gut. und chatten ist gut. ich hab schon leute in kolumbien kontaktiert, es ist schoen, hier ein netzwerk aufzubauen, jedenfalls ein bisschen...da fuehl ich mich wieder wohl dabei.

das leben im dorf

am sonntag war treffen des consejo interno, des hoechsten gremiums der friedensgemeinde, an dem wir teilweise teilnehmen. wir spazierten nach la holandita hinunter. besser gesagt wir liefen. ich mag das unterwegs sein so. gina, emily und ich mit einigen dorfbewohner_innen, auf dem weg zu dem consejotreffen, oder zum fussballspiel in la holandita. treffen und fertigmachen in einem haus eines consejo-mitgliedes. wir muessen immer warten, bis sie alle fertig zum abmarsch sind! dann vorweg ein pferd mit mann u baby, dann gina, singend mit ipodkabel im ohr. dann jugendliche, dann ich, emily redend mit frauen, dazwischen einige kinder, die auf und ab u vor und zurueckrennen, die wir immer wieder ueber die fluesse heben.

das consejotreffen bot mir die gelegenheit ueber interne kommunikation und strukturen im dorf zu lernen, was mich sehr interessiert! die mitglieder des gewaehlten rates kommen aus den verschiedenen regionen der gemeinde - sie liegen tw 6-8 reisestunden zu fuss, pferd oder bus voneinander entfernt! - und wir haben wechselnde decknamen fuer sie. so sitzt auch johnny depp im rat, was sehr witzig ist! alle erzaehlten von den letzten kriegsgeschehnissen in ihren regionen, von ihren aktivitaeten u beantworteten unsere fragen schlecht und recht. es ist manchmal schwierig, hier zu wohnen, und nicht so ganz in die kommunikation einegbunden zu sein, nicht alles mitzubekommen, sondern einfach den raum zu halten. die mitgieder sind meist sehr engagiert u der grossteil sind maenner. ich finde es spannend, diese radikale alternative zum kriegsgeschehen, diese starken menschen, und diese tief eingepraegten konservativen strukturen und rollenbilder, die wir alle in uns tragen, und die sich grade beim landleben im dorf so stark zeigen.

diesmal war jemand beim consejotreffen dabei, der von der sommerakademie in tamera, portugal, berichtete. einige friedensgemeindemitglieder waren dorthin eingeladen u hatten an workshops zu landwirtschaft teilgenommen. wir kamen spaeter zum treffen dazu. auf einer tafel, an der die tamera workshops beschrieben waren las ich "landwirtschaft und die mondphasen".

alle fragen sie mich, ob ich schon eingewohnt bin u mich wohlfuehle. ich antworte so ehrlich wie moeglich u sage, es ist schwierig. die dorfbewohner_innen haben so eine liebe, koerperliche art, mit uns in kontakt zu treten. wir reden gar nicht so viel, es ist mehr ein sich-anlachen, umarmen, dinge an den anderen bemerken, gemeinsam musik hoeren oder auf den stufen vorm haus sitzen.

gina und ein junge aus dem friedensdorf haben fuer mich eine art rallzy geplant - ja! eine reatselrally! ich mochte das so. ich musste in alle haeuser im dorf gehen, mich vorstellen, und etwas fuer mich abholen. sie hatten meine gegenstaende verteilt: ein handtuch, ein mosquitonetz, eine wasserflasche...so sammelte ich immer mehr dinge zusammen, ging in alle haeuser, und kleine kinder begleiteten mich, gierig danach, die sachen fuer mich zu tragen u danach an meiner hand zum naechsten haus weiterzugehen.

eine meiner aufgaben im dorf ist das aktive besuchen der leute. wir leben mit ihnen, begleiten sie durch unsere praesenz im dorf. einige besuchen uns viel, kommen immer wieder vorbei auf eine schoko oder um musik zu hoeren oder hereinzulachen. kinder sind immer da. die maenner zu treffen ist schwerer, sie arbeiten tagsueber am feld. an einem sternenabend bin ich vorm haus unserer nachbarn gesessen u habe dem gitarrenspiel gelauscht. so schoen.

bogota.

ja, die trainingswoche in bogota war sehr sehr fein. so langsam ins team hineinzuwachsen, beziehungsweise hineingezogen zu werden, vom ersten moment an, ist ein gutes gefuehl. wohin ich auch komme in kolumbien, ich fuehle mich ueberall von anfang an sehr willkommen und sehr gut aufgenommen, fast getragen.


ein treffen von exvolunteers hatte gerade stattgefunden, sie waren nach 14 tage reisen und wiedersehen und besuchen der peace community total aufgekratzt. ich kam an, wurde von job u marion vom flughafen abgeholt, und die party ging los. in einem restaurant feierte amanda geburtstag u bekam einen kleinen kuchen mit einer kerze serviert. der kellner stellte ihn versehentlich auf meinen platz u sofort sangen alle fuer mich zu ehren meines ersten “geburtstages” mit FOR. verrueckte runde. chris, der alles organisiert hatte, mayra-sofia, camilla, amanda, marion, janiz mit ihrem kolumbianischen freund. liza, die koordinatorin, und jon vom jetzigen bogota team, der die ganze woche fuer mein "programm" zustaendig und meine hauptansprechperson war. unter der woche kam noch sarah vorbei, eine der ersten FOR volunteers, und isaac vom bogota team war am fr vom urlaub zurueck, sodass ich die gesamte trainingswoche ueber in seinem zimmer schlafen konnte. 

nach dem ersten grossstadtschock – oh es dauert soo lange mit dem bus wohin zu fahren! und oh, der strassenlaerm ist uuueberall. und man hoert ihn nicht nur, man riecht ihn auch!! es ist, als wuerde man staendig leichte zigaretten rauchen…- hat es mir dort soo gut gefallen. es gibt ein einfaches nord-sued ausgerichtetes karo-strassensystem in dem ich mich schnell zurechtfand. je nachdem wo sich etwas oder jemand in der stadt befindet kann daraus die relative wichtigkeit und stellung im gesellschaftssystem abgelesen werden. im osten sind die berge. und die nobelwohngegenden. im norden sind die einkaufszentren. weiter in den sueden als ins historische zentrum zu fahren ist nicht ratsam. dort beginnt sich das karo-strassensystem langsam in slums zu verwirren, und ganz im sueden liegt der stadtteil, den dominique gefilmt hat: ciudad bolivar. das zentrum, die candellaria, ist soo schoen. dort gibt es kleine kolonialhaeuser  mit innenhoefen und balkoenchen. enge gaesschen, und sonne, und aussicht, da keine hochhaeuser diese verdecken. liza wohnt dort sehr fein und wir verbrachten dort 2 halbe tage mit der ganzen bande. die FOR wohnung und auch das buero liegen zwischen zentrum und norden, in einem viertel namens chapinero, bekannt fuer das gute nachtleben und die queer szene. dort steppt der baer! an meinem letzten bogota tag waren wir ums eck bei einem konzert einer mexikanischen kumbia band!

der flughafen ist ganz im westen, dort also wo es flach wird u richtung llanos hinuntergeht. einen trainingstag lang fuhren wir zu thermalbaedern in den nord-osten in die berge hinauf.- so schoen! wir waren fast die einzigen gaeste, es gab sehr heisse quellen u rundherum einfach gruene berge. die vegetation ist trotz der hoehe so gruen und ueppig!


auf der hinfahrt hatte ich gute gespraeche ueber meine rolle als begleiterin im friedensdorf. es war inspirierend, all die leute kennen zu lernen, die diese erfahrung schon gemacht hatten. wir sprachen darueber, einen gewissen abstand zu den leuten im dorf zu bewahren, was nicht einfach ist, wenn wir mittendrin wohnen. wir sprachen ueber die wichtigkeit der salidas, der drei-tages-auszeiten, die wir jedes monat nehmen muessen. wir sprachen natuerlich ueber alle krankheiten, die alle erlebt haben, und die besonders wahrscheinlich sind im fall, wenn wir zu sehr eintauchen in die community u die salidas nicht einhalten.
im thermenwasser sprachen wir ueber menschenrechte und die strukturelle unmoeglichkeit, gegen multinationale konzerne zu prozessieren. 
auf der rueckfahrt fuhren wir in einem kleinen bus mit einer gruppe von mariachis mit! sie sangen fuer uns! tw. lieder, die ich noch aus meiner zeit in mexiko kenne. das war ein sehr schoener moment. ich war selig angekommen in lateinamerika u wir kurvten singend durch die bergige landschaft zurueck in den stinkenden stadtlaerm. 


mein trainingsplan bestand vor allem in lesen: aktuelle tageszeitungen morgens zum fruehstueck in cafes, das trainingsheft, im buero, in lokalen oder wo ich wollte, und blogs und online zeitungen. einen halben tag spielten wir checkpointrollenspiele, einen halben tag verbrachte ich damit, meine kolumbianische identitaetskarte, die cedula zu bestellen u diverse amtswege zu erledigen. einmal gingen wir zu einem treffen vom dachverband der begleitungsorganisationen. schoen, die bekannte ngo- arbeit. ich fuehlte mich sehr angekommen.
ich mochte die viele information, das internationale team, das staedtisch-chaotische umfeld. in bogota scheint jeden morgen die sonne und am nachmittag regnet es. fast immer. abends war ich mit winterjacke u gelber haube unterwegs, tagsueber mit einmal langen aermeln.


es gab eine willkommensparty fuer mich mit selbstgekochtem essen in unserer wohnung, mit leuten von pbi und witness for peace, einer anderen ngo. ich traf eine vorarlbergerin, die bei pbi in apartado gearbeitet hatte. ich war von marion zum essen eingeladen u schaute schnulzfilme mit jon. ich spazierte abends durch die vollen strassen von bogota - das ist so ein unterschied, in wien oder in bogota aus dem buero rauszugehen!

ankommen im friedensdorf


es hoert sich so romantisch an. peace community. comunidad de paz. friedensgemeinde.
die eindruecke, die ich bisher habe, das wenige, das ich bisher im friedensdorf erlebt habe, finde ich irritierend, schockierend, verschuechtert, arm. am rande der gesellschaft, und definitiv am rande von kolumbien.

ich bin insgesamt 12 h geflogen von wien nach bogota (wartezeiten ausgenommen). nach einer genialen trainingswoche im winterlichen bogota ging es weiter: nachtbus nach medellin – 12 stunden fahrzeit. viele kurven. die frau neben mir am sitz uebergab sich immer wieder. in der frueh kam die rettung und holte sie aus dem bus raus. in medellin verbrachte ich einen tag in einem schoenen haus bei aktivist_innen des red juvenil, einer jugendorganisation. medellin ist eine kontrastreiche stadt, laut, schoen, arm, reich, voller staatlicher infrastrukturprojekte, zb. der metro, die sich auf bruecken durch die strassen und plaetze schneidet.

von medellin ging es weiter, 8 stunden in einem auto nach apartado. das ist eine strecke, die wir nur tagsueber fahren, entlang des weges richtung nord-westen erhoeht sich die militaerpraesenz am weg staendig. ich durfte vorne sitzen, was sich als super herausstellte, denn mit jeder kurve von medellin abwaerts wurde es heisser und heisser und die rueckbank teilten sich drei personen. bogota liegt auf 2.600 meter seehoehe u mir kam vor, seither staendig bergab gefahren zu sein. die strasse  nach apartado ist eine der schlaglochreichsten, die ich je gefahren bin. ich hab dem fahrer den rasanten fahrstil ueber die wenigen asphaltstrecken hinweg verziehen, da er meist im schritttempo durch grosse loecher kurven bzw. diesen ausweichen musste. unser fahrer war gut freund mit allen militaers am weg. es ist ja interessant, wie das funktioniert. er winkte hinaus, sie winkten zurueck, manchmal gab er leuten am weg geld. wir hoerten kolumbianische schnulzmusik, vallenato, von den texten und rhythmen aehnlich der oesterreichischen volkstuemlichen musik.

ich fuehlte mich gut vorbereitet von unseren rollenspielen ueber moegliche begegnungen mit militaers, war aber natuerlich froh, die vorbereiteten saetze nicht sagen zu muessen. und dann, kurz vor apartado wurden wir doch angehalten und das auto durchsucht. und ich machte dann doch alles anders als vorbereitet: der bewaffnete nahm meinen namen auf, wogegen ich eigentlich protestieren wollte.

in apartado angekommen, verbrachte ich hier eineinhalb tage mit meinem neuen team gina und emily. die beiden wohnen seit ende maerz im friedensdorf und bewegen sich hier in der gegend, als haetten sie nie woanders gelebt. sie waren sehr straight drauf, freuten sich ueber die tage in der stadt u ueber meine ankunft. wir assen pizza und tranken bier u unmengen saefte von frischen fruechten. ich lernte die restaurants kennen, die sie hier besuchen, das internet café, in dem uns alle kennen, das haus der peace brigadas international (PBI), wo staendig 12 pbiler_innen wohnen und arbeiten, ich traf schweizerinnen, belgier usw.   

am zweiten gemeinsamen tag ging die reise weiter: wir fuhren zum busbahnhof. ich kaufte dort die gummistiefel, die hier alle tragen – there is only one style, sagte emily. groesse 37. schwarz und gross. wir warteten fast eine stunde lang auf einen chivero, der richtung san jose fuhr. es war ein unglaublich heisser tag, wir schwitzten im sitzen. gepeack wurde aufs dach geladen, kínder wurden auf die ruecksitze geladen. ich lag mit regelschmerzen wartend auf einem holzbankerl u freute mich darueber, mit frauen unterwegs zu sein. hinten im chivero gibt es 2 gegenueberliegende sitzbaenke, im prinzip 8 sitzplaetze. wir fuhren mindestens zu sechzehnt. ausserhalb der “stadt” darf auch das dach des chiveros benuetzt werden u es ist erlaubt, sich wo auch immer das moeglich ist, an das fahrzeug dranzuhaengen. es sassen 10 leute hinten drin, auf jeder von uns ein kind. gina, emily u einige andere standen hinten auf der stossstange, hier und da sprangen leute auf oder ab, neue kínder zwaengten sich zu uns hinein. obendrauf ladungen mit yuca und anderen lebensmittel und unser gepaeck. eine kleine katze fuhr in einem sack mit loechern mit und miaute ununterbrochen. wir fuhren durch viele schlagloecher, ueber feldwege, langsam bergauf an kleinen haeuschen und feldern vorbei. es war ein grosses abenteuer.  und es schaukelte. die strasse war an manchen stellen zum fluss hin abgeschwemmt u es fehlte ein stueck. auf dieser strecke krank zu fahren waere quasi unmoeglich: mein bauchweh war sofort weg.

der chivero fuhr bis la holandita oder san josecito, einer ansiedlung nach der sich die bewohner_innen der friedengemeinde nach dem massaker 2005 “umgesiedelt” waren. DISPLACED. die hauptproblematik der baeuerlichen bevoelkerung in kolmbien. das land wurde von der hollaendischen regierung an die friedensgemeinde gespendet, daher der name. in la holandita haben wir ein zimmer in einem holzhaus, das FOR gemeinsam mit PBI gehoert. gegenueber wohnt die italienische begleiter_innenorganisation "palomas para la paz", die dafuer bekannt sind, gut und italienisch zu kochen.
in la holandita zogen wir uns stiefel, die FOR t shirts und wanderhosen an, ueberliessen unser gepaeck einem bekannten, der es mit 2 pferden den weg nach la unión hinauftragen wuerde u gingen voraus. pferde als lasttiere leisten wir uns nur in besonderen faellen, eben z.b dass ein neues teammitglied samt gepaeck ankommt.

und dann der beruehmte weg: 1 ½ stunden bergauf, 3 flussquerungen, an kleinen bauernhoefen vorbei, durch wiesen hindurch, und immer weiter bergauf, mit immer besserer aussicht durchs gruene und ueber grosse steine und viel matsch: ein gummistiefelweg. nicht einfach zu gehen, besonders nicht mit neuen grossen gummistiefeln. es war heiss, mir war schwindlig. so langsam wie beim ersten mal sind wir den weg nie wieder gegangen.

dann kamen wir in la union an. es gibt dort 2 kleine FOR haeuschen, die einander gegenueber liegen. eines aus holz u eines aus beton. ich habe ein kleines zimmer im holzhaus, das ist wirklich rundherum aus den gleichen holzbrettern und es zieht ein bisschen durch die ritzen, daher ist es bei der hitze kuehler als im andern haus. das dach ist aus blech, worauf es laut prasselt wenn es regnet. hinten haben wir eine terasse und einen garten, den gina u emily sehr schoen bepflanzt haben und der gut wuchert, mit kuerbis, papaya, spinat, tomaten, chilis und blumen.

viele kinderzeichnungen mit willkommensgruessen warteten auf mich, ausserdem ein grosser blumenstrauss und ein plakat im kiosk in der mitte der siedlung. das war ueberwaeltigend, aber ich war sehr erschoepft vom reisen…