15.3.12

gewaltfreiheit und ihre grenzen

als ich auf dem ruecken des pferd-esels den huegel hinauf reite, habe ich einen der es-ist-unglaublich-dass-es-meine-arbeit-ist-hier-durch-die-schoene-landschaft-zu-reiten-moment.
es ist unglaublich, dass das meine arbeit ist! ich bin sehr dankbar dafuer.

wir reden ueber das kakaogeschaeft. vor einiger zeit wurde eine groessere summe gestohlen, erloes fuer verkauften bio-kakao, der nach europa verschifft wurde. faellt das unter "normales" verbrechen oder ist es als angriff auf die widerstaendische gemeinde einzuordnent? wir denken, es ist letzteres. im jaenner wurden 50 tonnen biokakao von der gemeinde nach europa verkauft u jetzt wieder 25. die gemeinschaftsarbeit und das anbauen von produkten auf gemeinschaftsland sowie das einkaufen von kakao der umliegenden bauern ist das einzige einkommen der friedensgemeinde als gemeinde (abgesehen von manchen projektfoerderungen fuer spezifische haus-bauten zb.). eine gewaltlose alternative, die gewaltvoll unterbunden wird. wie so oft wird uns die schwache position vor augen gehalten, die bauern in kolumbien haben.

im hoffnungstal stossen wir an die grenzen des beobachtens. wir haengen unsere haengematten auf der kuehlen terrasse des nachbarhauses der familie auf, die wir begleiten. und werden dabei mit einem familienkonflikt konfrontiert. und mit einem haus-konflikt. wer darf in dem haus der friedensgemeinde wohnen? die begleitorganisationen? die familie, die jetzt drin wohnt, wobei nicht alle von ihnen friedensgemeindemitglieder sind? wir werden hinein-verwickelt in unzaehlige erzaehlungen ueber vorkommnisse und beidseitige unterstellungen, von geleugneten vaterschaften und gestohlenen haushaltsartikeln.

mit dieser begleitung war ich insgesamt 25 tage lang im hoffnungstal bei der familie praesent. wir kennen sie bereits gut. emotionalen abstand zu halten wird schwieriger. wir brauchen mehr platz. verbringen zusehends mehr zeit mit unserer "arbeit", zum beispiel planen wir die trainingswochen fuer die neue kollegin, die in zwei wochen ankommen wird.

gewaltfreiheit ist hier anders. mein idealismus ist ein bisschen weniger lebendig, die gewaltfreiheit besteht nicht im woertlichen sinne im frei sein von gewalt. eine neutrale zone zu schaffen ist schon sehr gewaltfrei im vergleich zum kriegerischen kontext. nicht-mitmachen bei den forderungen und versprechungen der bewaffneten gruppen ist das schwierigste vorstellbare. sich gegen einen staat zu stellen, der jahrelang beteiligt war am ermorden von gemeindemitgliedern. nicht wehrdienst zu leisten, obwohl es kein gesetz gibt, das verweigern eigentlich moeglich macht. staatliche foerderungen nicht anzunehmen, genausowenig wie das geld, das im gegenzug zum coca-anbau versprochen wird. genausowenig wie land an eine bewaffnete gruppe oder einen multinationalen konzern zu verkaufen, auch nicht gegen verlockende summen. das gemeinschaftliche bearbeiten des landes ist die taegliche praxis der gewaltfreiheit.

auch das alltaegliche leben hier ist alles andere als frei von gewalt, ich hoere nachbarn mit den kindern schreien. jeden tag. einmal hoerte ich einen schrei von einer frau im dorf, die oft von ihrem mann geschlagen wird. und wir? wir versuchen zu reden. herauszufinden, wie die leute das finden und was wir tun koennen als "beobachter_innen". oder die geschichte von fidelina, die noch immer den stein in ihrer kueche hortet, mit der zoila ihr vor jahren auf den unterschenkel schlug. bei einem streit. und fidelina tut noch immer ihr bein weh. sagt sie.

ganz zu schweigen von den gewaltvollen strukturen, die sich durchziehen durch die rauchverhangenen kuechen, in denen ich die geschichten von misshandlungen hoere, vom erdulden haeuslicher gewalt. durch die langeweile der jugendlichen, fuer die es hier keine schule gibt. die entweder in die stadt ziehen oder an den samstagen lieber was trinken gehen, hinunter nach san josé, dem ort, von dem die gemeinde einvernehmlich weiterzog, 2005, nachdem mitten im ort die polizeistation errichtet wurde. dem ort, von dem bewusst abstand genommen wurde und wird. dort zeit zu verbringen war lange zeit tabu. ich frage mich, ob das wieder-dort-hingehen ueber jahre hinweg als wieder-aneignung gesehen werden kann statt als brechen der regeln. momentan spielen in san josé die kinder vor den haeusern waehrend einen meter daneben soldaten herumhaengen. sie kaufen in der dorfbaeckerei ein und beobachten, wer beim billard gewinnt.

am weg am pferd und zu fuss ins hoffnungstal kommen wir bei einem militaercamp vorbei. zelte. bunte soldatenunterwaesche, zum trocknen auf stacheldrahtzaeunen. gummistiefel. soldaten am bauernhaus einer familie der gemeinde. sie haben im wald einen runden platz gerodet, auf dem hubschrauber landen koennen. wuest sieht das aus. die soldaten gruessen. mein magen zieht sich zusammen. so viele. ich hoffe, dass mein pferd nicht erschrickt u ruhig ziehen wir weiter. vor 4 tagen hat es drei huegel weiter einen kampf gegeben. dabei wurde eine kuh getoetet u zwei verletzt. bei unserer familie essen wir genau das fleisch der im kampf verletzten kuh, die danach geschlachtet werden musste.

wir begleiten familienmitglieder auf den fussballplatz. und - am rand ein uniformierter guerillero mit waffe. sein kollege hat diese abgelegt u nimmt am spiel teil. rennt ueber das spielfeld zusammen mit vielen der leuten im tal, die wir schon gesehen haben. wer verlaesst das sonntaegliche spiel u laesst sich von der praesenz der bewaffneten das einzige sonntaegliche dorf-vergnuegen nehmen? wir und die von uns begleitete familie dort - alles friedensgemeindemitglieder - sind die einzigen, die sofort zurueckgehen. wir begleiten keine fussballspiele, an denen bewaffnete teilnehmen. ein harter preis fuer die bauern. das ist die grenze des gewaltfreien begleitens.

es ist unglaublich, dass das meine arbeit ist. dass ich als begleiterin von friedensaktivist_innen von bewaffneten akeuren respektiert werde. doch manchmal fuehlt es sich an, als koennte ich dabei nicht so viel tun. gewaltfrei zuzusehen, bei gewaltvollen geschehnissen zeugin zu sein. und ganz langsam zu versuchen, gegen die und mit den gewaltvollen strukturen weiterzuarbeiten, andere strukturen zu schuetzen, wie die gemeinschaftsarbeitstage. zuzuhoeren in den kuechen, andere perspektiven einzubringen in die diskussionen. das erleben dieser gewaltvollen realitaet ein stueckweit mit-zutragen und dadurch ein stueckweit ertraeglicher zu machen fuer unsere begleiteten und physischen und politischen spielraum fuer sie zu schaffen. spiel-raum, im prinzip den lebensraum, den das eigene land den bauern bietet.

9.3.12

kinder! vollmond & das leben am laund

es gibt hier wahrscheinlich mehr geburten als tote. ich werde versuchen, das statistisch festzulegen. zwei neue kinder in zwei tagen. und in den vergangenen zwei monaten auch zwei. das ist schon viel. im dorf hier wohnen ja nur 20 familien.
um die muetter vom spital heimzuholen sind vorgestern u gestern jeweils 10 maenner hinunter in die stadt gewandert u haben sie mit haengematten heraufgetragen (abwechselnd, immer zwei traeger fuer eine frau). auf den schultern mit fetzen druntergelegt, sodass die haengemattenseile keine striemen hinterlassen.

es ist vollmond. der scheint zwischen den wolken durch. die letzten tage gabs hier wieder nebel u regen. fein ist das u kuehl. aber feucht. auf den waescheleinen auf unserer hinterterrasse trocknet die waesche wieder ganz langsam. und ich schaue waehrend meinen abendyogauebungen zwischen den waescheleinen hindurch ins vollmondlicht.

und heute scheint die pralle sonne, wir wandern gleich wieder los ins hoffnungstal, mit dem grossen sonnenhut am kopf und vielen wasserflaschen auf unserem packpferd. schoen wird das. wenn die sonne scheint sehen wir beim wandern das meer.

in diesen tagen sind franzoesische journalisten zu gast. das ist nett mit ihnen zu plaudern, wenn alle andern schon schlafen. es sind ueberhaupt viele internationale gaeste praesent hier in der friedensgemeinde. die fuer ein paar tage oder wochen zu besuch kommen oder um fotos zu machen. am 23. maerz feiert die community ihr 15jaehriges bestehen. umso mehr gaeste werden erwartet. vor einigen tagen hab ich mit einem repraesentanten gesprochen, der meinte, es werden so viele artikel, videos oder wissenschaftliche arbeiten ueber das friedensdorf publiziert, die ein ganz anderes bild vermitteln vom leben u tun der gemeinde. das birgt die gefahr, sich journalistisch oder kuenstlerisch etwas anzueignen, etwas einen ton zu geben, titel oder untertitel oder im lichte einer theorie darzustellen, mit der die gemeindemitglieder gar nicht einverstanden sind. andererseits bringen genau diese geschichten und die vielen menschen, die ueber das widerstandsprojekt hier schreiben oder anderswie information und eindruecke verbreiten, bekanntheit und ruhm. und das ist mit der zeit zu einem internationalen sicherheitsnetz geworden, zu einem netz aus augen die hinsehen auf den konfliktherd, einem netz aus stimmen, die aufschreien, wenn was passiert, zu einem netz aus herzen, die ein wenig fuer das friedensprojekt hier mit-pochen.

gestern am internationalen frauentag - frau hoere und staune - haben die maenner am gemeinschaftsarbeitstag ein gescheinschaftsessen gekocht, ein schwein geschlachtet, es gab suppe u als nachspeise milchreis mit viel zimt, gekocht in grossen toepfen ueber grossen feuerstellen.
feiiin war das. ich liebe diese gemeinschaftlichen tage u das kollektive arbeiten.

wir waren einen tag in der stadt, haben die haare in den staubigen wind gehalten waehrend wir hinten dran u oben drauf am jeep gesessen sind. und das wandern je eineinhalb stunden berg - hinab und wieder hinauf. das war gut, einen tag hinauszukommen. ich mag ja die aussicht aus meinem fenster zum nachbarhaus, die kleinen entchen u die pferde u kuehe, die vorbeigrasen. doch ab und zu tut eine abwechslung richtig gut.

zwischen fruehstuecksverabschieden und pferde bepacken machen wir uns auf den weg, um die familie im hoffnungstal zu begleiten. es fuehlt sich an wie ein besuch, wobei wir genau wissen, wo sich die bewaffneten gruppen am weg befinden.
ein abenteuerleben.
und ich schreibe ein andermal weiter...