10.12.11

kriegsvernetzung

alles ist mit allem verbunden. und verwoben. auch hier. auch im krieg. besonders im krieg. jede_r weiss einen teil, gibt einen teil, oder weiss einen teil nicht, versteckt einen teil.

jede_r hat eigene interessen, und verbindet sich mit anderen menschen, um diese zu erreichen. verhandelt mit anderen menschen, mit denen sich menschen anderer interessen verbunden haben und kaempft dann gegen die anderen verbundenen. dabei sind sie am ende der verbindungskette mit den selben menschen verbunden, zum beispiel ueber haendler, maerkte, verkehrsnetze. und: sie haben sogar oft sehr aehnliche interessen.

insoferne ist eine kriegspartei nie ganz abgegrenzt von der naechsten. sie sind es in kaempfen, in zusammenstoessen, in der abweichung ihrer motive, deretwegen sie ihre interessen verfolgen. sie sind sehr unterschiedlich im ausdruck ihrer politischen ideologie. aber sie sind verbunden in ihren kontakten, familienzugehoerigkeiten, zugehoerigkeiten zu gemeinden, kirchen, prozessen. sie sind verbunden im macht- und besitzstreben und besonders in der angst vorm sterben und im ueberlebenswillen.

so ist das zum beispiel mit dem cocaanbau. jede_r tut da ein schaerflein mit und traegt dazu bei. viele tun das und sind darueber mit der cocaproduktion und mit den anderen daran teilhabenden verbunden.
in kolumbien wird aus den cocapflanzen eine rohmasse produziert, die dann exportiert wird, vor allem in die usa.
vor allem die usa haben das geld geliefert - plan colombia, eine militaerhilfe ueber die vergangenen zehn jahre hinweg -  um den cocaanbau zu unterbinden.

fuer coca gibt es viel geld. ein kilo cocarohmasse ist ca. 2.000 euro wert! in dem umfeld in dem ich hier mitarbeite, erwirtschaftet eine bauernfamilie diesen wert wohl in fuenf jahren nicht. die bauern, die coca anbauen, tun das zum beispiel fuer das viele geld. oder sie tun es fuer die guerilla, und die tun es fuer das viele geld, oder die waffen, die sie dafuer bekommen. in dem falle wuerden die anteile geteilt, zwischen den bauern und der guerilla, die bauern pflanzen u die guerilla liefern sie weiter und lassen dafuer die bauern in ruhe.

im komplexeren fall, und in dem fall, dass groessere mengen an coca gepflanzt werden, kommen die bauern um ein abkommen mit dem militaer nicht umhin, das natuerlich auch an der coca interessiert ist - und sie tun es auch fuer das viele geld. das schwierige dabei ist, dass die militaers im prinzip den cocaanbau bekaempfen muessen (plan colombia!). sie haben die aufgabe, die cocapflanzen auf den feldern umzubringen. ob des vielen geldes wegen spruehen sie das gift jedoch lieber auf mais, bananen, oder yucca felder. denn die bauern haben ihnen natuerlich einen anteil des geschaeftes versprochen. darum wird gras durch das gift verbrannt, fluesse verseucht, lebensgrundlagen zerstoert.

"der cocahandel in kolumbien besteht nur aufgrund der grossen nachfrage", erzaehlt einer meiner lieblingsgespraechspartner im dorf. "aber stell dir vor, in den labors, in denen die pflanzen weiterverarbeitet werden, entsteht ein weisses pulver u das wird mit normalem tabak oder marihuana vermischt und geraucht, auch hier in kolumbien, und: das rauchen auch soldaten, wenn es ihre vorgesetzten nicht sehen." ich hoffe, ich werde nie soldaten im veraenderten bewusstseinszustaend begegnen, wie das einigen leuten hier passiert ist.

cocaanbau und drogenkonsum ist ja prinzipiell in der friedensgemeinde verboten, bzw ist es vereinbart, dabei nicht mitzutun. es ist schwierig, nicht mit zu tun, wenn alles verbunden ist! ich schaetze die position der friedensgemeinde sehr. es ist viel mutiger, den eigenen prinzipien treu zu bleiben, als aus angst geld anzunehmen, und in den allgemeinen vernetzten gewaltvollen geschaeften mitzutun. es kostet sogar viel kraft, viel arbeit und internationale begleitung, nicht mitzutun und sich gegen die spirale der gewalt auszusprechen. politische arbeit. persoenliches verzichten.

hier gibts ein gutes video zum thema coca!
http://www.guardian.co.uk/world/video/2010/feb/16/colombia-drugs-trade?fb=native

vom zuhoeren

die gewaltfreie kommunikation beginnt mit der empathie. die kunst, die empathie zu geben, ist, mit ganzem herzen zuzuhoeren, in meiner ganzen praesenz, ohne nebenher innerlich zu bewerten, was mein gegenueber sagt, ohne an meine eigenen reaktionen auf das gesagte zu denken u diese zu bewerten, ohne im geiste bei den naechsten arbeitstaetigkeiten zu sein. ich kann das sehr gut mit der empathie, ich kann richtig eintauchen in die gefuehlswelt des anderen menschen. in meiner rolle als begleiterin, ist es meine aufgabe, auf die menschen einzugehen, ihnen fragen zu stellen. ich tauche ja in ihre realitaet ein, ich will ihnen das gefuehl geben, dass ich da bin und mich fuer sie interessiere. so geht es in den gespraechen stets um meine gespraechspartner:innen, um das leben im dorf, die friedensgemeinde betreffend. meine realitaet ist zu weit weg von hier, um fuer die leute begreifbar zu sein. es gibt sehr wenige leute, die mir ihrerseits fragen ueber mich stellen und vielleicht stellen sie dann fragen ueber meine sprache oder ueber meine herkunft, aber nicht wirklich ueber mein empfinden.

es ist sehr anstrengend. ich habe das gar nicht gemerkt, im prinzip habe ich nun ueber drei monate fast nur zugehoert. und damit meine ich, gespraeche bewusst so gelenkt, dass es um meine gespraechspartner_innen geht, und so, dass es ihnen gut geht. um ihnen bewusst den raum zu geben. ich kann das gut. und ich tue das staendig. ich lache mit den leuten wenn sie lachen wollen und ich esse mit den leuten, wenn sie mich einladen, und ich aergere mich mit ihnen, wenn sich das pferd nicht einfangen laesst, und bin faul in der haengematte mit ihnen, wenn es regnet.

zuhoeren ist besonders wichtig in notfallssituationen. es ist spannend, es gibt sehr viele wahrheiten. jede fuer sich ein splitter der von den leuten subjektiv erlebten kriegsrealitaet. waehrend laut einer person die guerillas bereits ein gesamtes dorf eingenommen haben, gab es laut einer anderen person einen kampf zwischen guerillas und paramilitaers in der naehe von jenem dorf bei dem zehn kaempfer ums leben gekommen sind und laut unseren naehesten kontakten vor ort einen kampf, bei dem es einen toten gab. da heisst es nachfragen, zuhoeren, geschichten hoeren, radio hoeren, vergleiche, schaetzungen, anrufe machen, leute befragen, alle erzaehlen sie gerne die versionen ihrer wahrheit.

ich merke, dass ich aufgeladen bin mit gespraechen und information, als waere mein innerer platz fuer die empathie aus und voll. der muss dringend geleert werden, dieser platz. alles aufgesaugte braucht ausdruck, ich weiche gespraechen aus, in denen ich nur zuhoere. ich bin jetzt auf urlaub u versuche der allgemeinen erschoepfung raum zu geben. ich finde jetzt selbst seltsam, dass ich dachte, die begleitarbeit waere in irgendeiner weise mit organisationsarbeit vergleichbar. fuer andere da sein und praesent sein auf professionelle art ist ueberaus fordernd.

und ich hoere uebrigens gerne zu. dann wenn wieder platz dafuer ist...

tote im herzen

tagebuchsplitter geschrieben am 7.11 nach dem begraebnis.
meine haut vibriert von den emotionen, von der geladenen energie wenn so viele menschen gemeinsam an einen ort kommen, um sich zu verabschieden. meine schrift ist heute runder, mein koerper schwer von der muedigkeit. wenig geschlafen, viel trauer aufgesaugt.

ich kannte ihn nicht, den mann, der, von allen hier sehr geliebt und geschaetzt, unsere haeuser, tische, baenke konstruiert hat. er hat mit seinen haenden frieden gebaut, sagen die menschen. gestorben an lungenkrebs, und in einen schoenen holzsarg gelegt, wurde er von uns und einem grossen teil der friedensgemeinde aus dem spital auf den berg hinaufbegleitet. es war ein sehr schoener gemeinschaftlicher moment. und die tage und besonders die naechte, die folgten, die letzten in denen sein koerper existieren wuerde, war er aufgebart im herzen der friedensgemeinde, im kiosk. eine kuh wurde geschlachtet, ich verfolgte den prozess in allen einzelheiten. der kiosk wurde mit blumen und kerzen geschmueckt, das grab wurde ausgehoben u mit zement ausgekleidet.
viele familienangehoerige kamen angereist, aus dem ganzen bundeststaat. wir warteten zweieinhalb tage, dass sie alle ankommen wuerden u beim begraebnis dabei sein koennten. waehrenddessen spielten wir karten, erzaehlten geschichten und witze. ich wurde in schimpfworte und geistergeschichten eingeweiht, und freute mich, meine zeit mit sovielen menschen zu verbringen.

zeit rund um den sarg. der durfte nie allein gelassen werden. die sehr erschoepften und traurigen angehoerigen hielten lange nachtstunden ohne schlaf aus. es wurde kalt, feucht und nebelig.die stimmen in der nacht hoerten nie auf, etwas gespenstisch. wenn ich durch sie aufgewacht in der nacht von unserm haus hinunter zum kiosk ging, wirkte er wie ein schloss aus kerzen, das aus dem nebel auftaucht. am dritten tag fruehmorgens fand schliesslich das begraebnis statt, unter vielen traenen und lautem wehklagen.

es herrschte grosse betroffenheit, die sich neben der trauer auch darin auswirkte, dass viele friedensgemeindemitglieder aus solidaritaet mit dem rauchen aufhoerten.
fuer mich war es eine grosse ehre bei einem derartigen lebensbewegenden ereignis dabei sein zu duerfen u mit den menschen zu sein, waehrend sie trauerten, lachten, wachten, stumpf das fleisch auseinanderhackten, um das mahl zu bereiten. fast 3 tage lang nahmen wir den toten und das verabschieden von ihm in die mitte der friedensgemeinde.