23.10.11

gift & bomben

kolumbien hat die drittgroesste hubschrauber"flotte" der welt! und davon hoeren und sehen wir reichlich. schuld ist plan colombia, finanzhilfe aus den USA, die im letzten jahrzehnt in das land gepumpt wurde, vorrangig, um den drogenhandel einzudaemmen, im grunde militaerische unterstuetzung.

zeit beschaeftigen uns hubschrauber, die bomben in der naehe von haeusern von friedensgemeinde mitgliedern in einem abgelegeneren teil des dorfes abwerfen und hubschrauber, die gift abwerfen, um cocapflanzen zu zerstoeren, ebenso in der naehe von grund und haeusern der friedensgemeinde. jedoch zerstoert dieses gift nicht nur die cocapflanzen sondern lebenswelt von tieren und menschen.

gestern war ein treffen im dorf, so gut wie alle gingen hin, sassen unterm sternenhimmel in der runde. ein mitglied des consejo gab information zu toten tieren, durchfall von kindern und anderen schauderhaften auswirkungen des besagten giftes. danach kamen einige in unser haus und berichteten. in dem fall ist es wirklich das staatliche militaer, das dieses verbrechen begeht, das das eigene land zerstoert und seine bewohner_innen bedroht. es ist kaum zu fassen, dass diese dinge hier passieren. alle menschen hier und das schoene dorf und ihre tiere werden davon betroffen sein, wenn mehr gift gespritzt wird. es koennte ins wasser gelangen, niemand kennt die langzeitauswirkungen. es gibt hier im umkreis des dorfes kaum cocapflanzen!

am abend der bomben bekamen wir einen anruf, dann gab es kein handysignal mehr. wir befolgten die notfallsprotokolle, koordinierten mit dem bogota team, riefen beim militaer an. die antwort ist immer: "nein, es passiert gar nichts." wer wuerde schon zugeben, zivilbevoelkerung zu gefaehrden? es war etwas stressig. so nahe. (naja, 7 h zu fuss...). so wenig wissen. keinen kontakt zum betroffenen gebiet. das gefuehl, ignoriert zu werden, machtlos zu sein.

es ist niemandem etwas passiert, heute klopfte der herr an unsere tuer, in der naehe dessen grundstueckes die bomben gefallen waren. "schaut mal!" - er zeigte uns eine leere huelle in der die explosive munition abgeworfen worden war. er hatte sie auf dem weg gefunden. tags darauf waren wieder bomben gefallen. sie hatten die volksanwaltschaft informiert. die bomben waeren einfach auf das gras gefallen, dort gibt es kein coca, aber der boden ist so oder so zerstoert. warum genau die gewalt, wissen wir noch immer nicht.

friedensgemeindemitglieder, sowie ihre begleitpersonen, und menschen, die einen wichtiges service fuer die gemeinde verrichten (wie oeffentlicher transport zb) sind durch die massnahmen des interamerikanischen menschenrechtsgerichtshofs geschuetzt, 2004 (?) vom klumbianischen verfassungsgerichthof anerkannt. ihr leben und ihr land ist dadurch geschuetzt und uns geben die massnahmen rueckendeckung um rechtlich zu argumentieren. und die militaers und alle staatsorgane kennen diese schriften.
was waere schon die allgemeine erklaerung der menschenrechte allein? beziehungsweise das international humanitarian law (keine ahnung wie das auf deutsch genau heisst...), das ja in faellen von kriegen prinzipiell die zivilbevoelkerung schuetzt.
wir internationalen organisationen geniessen darueber hinaus den rechtsschutz einer weiteren richtlinie in der kolumbianischen verfassung.

die zwei anerkannten politische analyse-organisationen sind sich un-einig, ob die vielen hubschrauber, sinnbild fuer ein modernst ausgeruestetes kolumbianisches militaer, grundlage waren um die guerilla zu besiegen. eine davon meint, sie waeren seit 2007 signifikant zurueckgedraengt worden, waehrend die andere meint, es gibt in letzter zeit wieder mehr initiative attacken von seiten der illegalen gruppen.

tatsache ist: in diesem land gibt es krieg! es sterben einige militaers und mitglieder bewaffneter gruppen jede woche, dabei schreibe ich nur von den offiziellen zahlen, die ich in den abendlichen nachrichten sehe, und von denen wir in den zeitungen lesen. ganz zu schweigen von bomben, die vor zugedrueckten augen der machthabenden in der naehe von friedlichen doerfern fallen oder gespritztem gift, das zerstoerung in einem ganzen landstrich bringt.

"als bauer in diesem land neutral zu sein, ist eigentlich nicht moeglich! staendig wird man beschuldigt, informant zu sein, die eine oder die andere illegale gruppe zu unterstuetzen", hoerte ich erst vor einigen tagen vom einem community mitglied. "nein, hier ist wirklich kein ende des krieges in sicht."

14.10.11

wirklichkeiten


so sitze ich auf meinem lieblingsarbeitsplatz am holzbretterboden auf der terrasse u lese ueber kolumbiens erstaunlichen wandel von einem “failed state” zu einem international anerkannten entwicklungsmodell. namhafte liberale oekonomen loben zurzeit die wirtschaftspolitik des landes, ein freihandelsabkommen mit den usa ist grade in den letzten runden, um  ratifiziert zu werden.
das ist eine der vielen seiten dieses reichen landes.

vorige woche war ich bei der familie einer professorin in medellin eingeladen und gemeinsam mit ihren freund_innen sehr herzlich empfangen. das grosse interesse an meiner arbeit ging einher mit einer ungewissen angst und teilweise mit unwissen, was in der región uraba wirklich vor sich geht. medellin selbst hat eine sehr gewaltvolle geschichte, jede der anwesenden personen hatte erinnerungen an zeiten der gewalt in den strassen, an schuesse, leichen und angst. jetzt jedoch war ich zu gast in einem der reichsten viertel medellins in einem zweistoeckigen apartement mit glaenzenden dunklem holzboden und einer herrlichen sicht ueber die stadtlichter durch die fensterfront. eine kleine wohnung in luftiger hoehe eines bewachten wohnhauses inklusive zwei bakonen und vier toiletten - obwohl dort nur eine person lebt – und natuerlich ihre gaeste. es gab superleckeres essen und ich bekam einladungen und telefonnummern fuer reisen und fuer alle faelle. wir redeten ueber frankreich und ueber klimt bilder.

es ist so wahnsinnig beeindruckend und gleichzeitig schockierend und verwirrend, wie schnell es in lateinamerika moeglich ist, die szenarien zu wechseln wie tapeten, die mein leben signifikant unterschiedlich einfaerben (jedenfalls aus meiner weisshaeutigen position mit einem europaeischen pass, ein bisschen geld und ein paar kontakten).“wenn irgendwas passiert, setz dich einfach in den bus und komm zu uns!”
 es fuehlt sich jedenfalls gut an, solche inseln zu haben, in die ich mich jederzeit zurueckziehen kann und abstand nehmen von der bauerlichen realitaet unter militaerhubschraubern und tropischen regenguessen.

da war jedoch dieses gefuehl, das in mir aufkam, als ich diese lieben leute sprechen hoerte: beurteilungen aus einer distanz - ich bin mir nicht sicher, ob bewunderung, oder doch eher abneigung gegen die wahl eines derartigen lebensstils. ich meinte, kaum jemand von ihnen koennte sich vorstellen, in dieses gebiet zu reisen, geschweige denn dort ein normales leben zu fuehren.
eine realitaet, die in dem moment viel weiter weg war von uns als die europaeische.

ich redete offen ueber meine eingewoehnungsschwierigkeiten u die muehe und dauer mit der wir alltaegliche taetigkeiten wie waesche waschen und einkaufen durchfuehren. und ueber die herzlichkeit und dankbarkeit der leute, die internationale aufmerksamkeit zu bekommen. die abenteuerlichen arbeitstage. die prinzipien der friedensgemeinde, die mit groesster anstrengung und entgegen die herrschende politik ueber die letzten - mittlerweile fast 15 - jahre gelebt werden.

warum ich mir das aussuche, dort zu arbeiten, fragen sie.
hm, vielleicht, weil ich mir sonst keinen akademischen job haben werde, der so viel begleitarbeit und mitleben mit menschen erfordert? was bedeutet: in der natur zu sein und in einem gebiet, das sonst kaum leute kennen noch bereisen. und der gleichzeitig eine praxis der gewaltfreiheit darstellt. in aller ruhe der doerflichen abende, zwischen den pferden, die unsere bananen- und orangenschalen vor der tuer auffressen. mit staendigem blickkontakt zu den nachbarn in dem wachsenden raum, den wir mit-konstruieren, um diese insel ohne waffengewalt im umkaempften uraba zu erhalten.

jedenfalls fuehlt es sich sehr gut an, hier zu sein. und so verschiedene dinge erleben zu duerfen.

ich schluerfe meinen bananensaft, es riecht gut nach frischer waesche. emily arbeitet im gemuesegarten, gina ist mit freunden aufgebrochen, um avocados zu ernten. in den letzten tagen schlafe ich sehr gut hier und fuehle mich gut eingefuegt in das dorf, in entspannter praesenz und mit einem gesunden lebensstil.  so viel obst, so viel gute luft, so viel saunagefuehl. naechtliche yogauebungen auf der kuehlen terrasse.

es sind so andere dinge die uns hier beschaeftigen. ich habe begonnen, jeden abend um 7 mit den nachbarn die nachrichten zu schauen, ein einziger fixpunkt am tag. so erfahre ich ueber die attacken des militares gegen die farc in zwei bundesstaaten und die studentenproteste im ganzen land. unterbrochen durch viele werbepausen. produkte und menschen tanzen ueber den bildschirm, die sehr sehr weit entfernt scheinen von der erdbodenkueche in der wir sitzen: die hendln brueten in einem eck, das baby am arm weint und ein hund schleicht um meine zerstochenen fuesse.

ich habe die 6 woechige lekture des trainingshandbuches abgeschlossen und das erstellen der woechentlichen analysedokumente ist beinahe zur routine geworden. es wird jetzt ein bisschen frueher dunkel, abgesehen davon, dass es bei vollmond nicht wirklich dunkel wird. wir haben nie eile. ausser wenn wir unterwegs und so spaet dran sind vor einbruch der dunkelheit. wie vor einigen tagen bei unserem aufstieg. gina und ich rannten in der daemmerung den weg hinauf, und das mondlicht half uns, ueber die letzten wiesen gut ins dorf zu gelangen.  wir waren uns einig, dass wir im prinzip unten in la holandita uebernachten haetten muessen in dem fall.

jedenfalls wars gut, wieder angekommen zu sein, nach der besprechungswoche in medellin, wo wir bei einer teamklausur eine detaillierte situationsanalyse und einen arbeitsplan fuer die naechsten 6 monate erstellt hatten. ueber die naechsten ziele in der politischen und internationalen arbeit und ueber die notwendigkeit der aenderungen unserer begleitarbeit, der sicherheitsprotokolle und dem umgang mit den menschen. und mit vielen, vielen geschichten ueber die peace community. besprechungstage mit viel schokolade, milchkaffee und kosmopolitischen speisen, gekocht aus stadt-zutaten.

viele unterschiedliche realitaeten. und alle sind sie so real und existieren nebeneinander ein paar stunden und gespreache voneinander entfernt. 

10.10.11

schokofrieden ohne bier

den ganzen september lang feierten wir das monat der liebe und freundschaft in kolumbien. el mes del amor y de la amistad. in unserer región wurde “amigo secreto” gespielt also "heimliche freunde". ein engerl-bengerl uebers ganze monat hindurch mit dem ganzen dorf, umliegende hoefe miteingeschlossen. die aufloesung und abschlussgeschenksuebergabe fand am ersten oktober statt.  und es gab ein fest!

ich muss ja sagen, ein bisschen nervte es schon, mit allen leuten im dorf staendig verdaechtigungen anzustellen, wer wohl mein amigo secreto oder derjenige des gespraechspartners waere. jedenfalls gabs ein gespreachsthema, das allen gemeinsam war. und das ein monat lang. nach dem zetterl-ziehen wurde den ganzen september hindurch geraetselt wer wohl den eigenen namen gezogen haette, andeutungen gemacht und kundgetan, was fuer ein geschenk man sich wuenschte, kleidergroessen ueber dritte erfragt, gemeinsam auf den markt gegangen, um geschenke zu kaufen, oder gar namen getauscht, sobald man meinte, die person haette erraten wer sie beschenken wuerde. ihr koennt euch gar nicht vorstellen, wie viel wir hier ueber dieses thema geredet haben, ich traeumte sogar davon, was ich meinem amigo secreto schenken wuerde!

die aufloesungsrunde war ein schoenes ritual. wer nicht erriet, wer der amigo secreto war, von dem man das geschenk erhalten wuerde, musste eine kleine "strafe" in der mitte des kreises tun, zb. singen, tanzen, huepfen... die runde begann sehr schuechtern und endete in einem ausgelassenen tanz. ich tanzte salsa in gummistiefeln, meinem gruenen kleid und natuerlich dem FOR t shirt. und ich fand heraus, dass vallento tanzen ein bisschen wie contact impro ist. uebergluecklich, dass ploetzlich so viele menschen um mich waren, nicht immer nur die 10 gleichen nachbarn. viele leute hatten sich die haare geschnitten, sodass ich manche gar nicht wiedererkannte und viele reisten aus den umliegenden streusiedlungen an.  die musik war laut, es wurden viele suessigkeiten verschenkt und auch ganz ein bisschen heimlich getrunken, was ja in der friedensgemeinde per gruendungsvereinbarung "verboten" ist.

ich mag das leben-ohne-alkohol-prinzip. es veraendert die beziehungen und das gegenseitige in-kontakt-treten enorm, verglichen mit europa u auch jeder anderen lateinamerikanischen gegend, die ich kenne. am abend laden wir die nachbarn zu heisser schokolade ein. mit alkohol gaebe es hier viel mehr aggressivitaet, da bin ich sicher. fuer manche – besonders juengere - gemeindemitglieder bedeutet es auch entbehrungen, jedenfalls aber das bilden einer neuen internen kultur, abseits des kolumbianischen biers.

mein amigo secreto schenkte mir einen tollen schwarzen flatterrock mit so viel glitzer drauf, dass ich ihn ausserhalb kolumbiens nie anziehen wuerde. aber hier in der gummistiefen- t –shirt kombination ist er perfekt u ich bin schon ausgeruestet fuer den naechsten tanz!