10.12.11

kriegsvernetzung

alles ist mit allem verbunden. und verwoben. auch hier. auch im krieg. besonders im krieg. jede_r weiss einen teil, gibt einen teil, oder weiss einen teil nicht, versteckt einen teil.

jede_r hat eigene interessen, und verbindet sich mit anderen menschen, um diese zu erreichen. verhandelt mit anderen menschen, mit denen sich menschen anderer interessen verbunden haben und kaempft dann gegen die anderen verbundenen. dabei sind sie am ende der verbindungskette mit den selben menschen verbunden, zum beispiel ueber haendler, maerkte, verkehrsnetze. und: sie haben sogar oft sehr aehnliche interessen.

insoferne ist eine kriegspartei nie ganz abgegrenzt von der naechsten. sie sind es in kaempfen, in zusammenstoessen, in der abweichung ihrer motive, deretwegen sie ihre interessen verfolgen. sie sind sehr unterschiedlich im ausdruck ihrer politischen ideologie. aber sie sind verbunden in ihren kontakten, familienzugehoerigkeiten, zugehoerigkeiten zu gemeinden, kirchen, prozessen. sie sind verbunden im macht- und besitzstreben und besonders in der angst vorm sterben und im ueberlebenswillen.

so ist das zum beispiel mit dem cocaanbau. jede_r tut da ein schaerflein mit und traegt dazu bei. viele tun das und sind darueber mit der cocaproduktion und mit den anderen daran teilhabenden verbunden.
in kolumbien wird aus den cocapflanzen eine rohmasse produziert, die dann exportiert wird, vor allem in die usa.
vor allem die usa haben das geld geliefert - plan colombia, eine militaerhilfe ueber die vergangenen zehn jahre hinweg -  um den cocaanbau zu unterbinden.

fuer coca gibt es viel geld. ein kilo cocarohmasse ist ca. 2.000 euro wert! in dem umfeld in dem ich hier mitarbeite, erwirtschaftet eine bauernfamilie diesen wert wohl in fuenf jahren nicht. die bauern, die coca anbauen, tun das zum beispiel fuer das viele geld. oder sie tun es fuer die guerilla, und die tun es fuer das viele geld, oder die waffen, die sie dafuer bekommen. in dem falle wuerden die anteile geteilt, zwischen den bauern und der guerilla, die bauern pflanzen u die guerilla liefern sie weiter und lassen dafuer die bauern in ruhe.

im komplexeren fall, und in dem fall, dass groessere mengen an coca gepflanzt werden, kommen die bauern um ein abkommen mit dem militaer nicht umhin, das natuerlich auch an der coca interessiert ist - und sie tun es auch fuer das viele geld. das schwierige dabei ist, dass die militaers im prinzip den cocaanbau bekaempfen muessen (plan colombia!). sie haben die aufgabe, die cocapflanzen auf den feldern umzubringen. ob des vielen geldes wegen spruehen sie das gift jedoch lieber auf mais, bananen, oder yucca felder. denn die bauern haben ihnen natuerlich einen anteil des geschaeftes versprochen. darum wird gras durch das gift verbrannt, fluesse verseucht, lebensgrundlagen zerstoert.

"der cocahandel in kolumbien besteht nur aufgrund der grossen nachfrage", erzaehlt einer meiner lieblingsgespraechspartner im dorf. "aber stell dir vor, in den labors, in denen die pflanzen weiterverarbeitet werden, entsteht ein weisses pulver u das wird mit normalem tabak oder marihuana vermischt und geraucht, auch hier in kolumbien, und: das rauchen auch soldaten, wenn es ihre vorgesetzten nicht sehen." ich hoffe, ich werde nie soldaten im veraenderten bewusstseinszustaend begegnen, wie das einigen leuten hier passiert ist.

cocaanbau und drogenkonsum ist ja prinzipiell in der friedensgemeinde verboten, bzw ist es vereinbart, dabei nicht mitzutun. es ist schwierig, nicht mit zu tun, wenn alles verbunden ist! ich schaetze die position der friedensgemeinde sehr. es ist viel mutiger, den eigenen prinzipien treu zu bleiben, als aus angst geld anzunehmen, und in den allgemeinen vernetzten gewaltvollen geschaeften mitzutun. es kostet sogar viel kraft, viel arbeit und internationale begleitung, nicht mitzutun und sich gegen die spirale der gewalt auszusprechen. politische arbeit. persoenliches verzichten.

hier gibts ein gutes video zum thema coca!
http://www.guardian.co.uk/world/video/2010/feb/16/colombia-drugs-trade?fb=native

vom zuhoeren

die gewaltfreie kommunikation beginnt mit der empathie. die kunst, die empathie zu geben, ist, mit ganzem herzen zuzuhoeren, in meiner ganzen praesenz, ohne nebenher innerlich zu bewerten, was mein gegenueber sagt, ohne an meine eigenen reaktionen auf das gesagte zu denken u diese zu bewerten, ohne im geiste bei den naechsten arbeitstaetigkeiten zu sein. ich kann das sehr gut mit der empathie, ich kann richtig eintauchen in die gefuehlswelt des anderen menschen. in meiner rolle als begleiterin, ist es meine aufgabe, auf die menschen einzugehen, ihnen fragen zu stellen. ich tauche ja in ihre realitaet ein, ich will ihnen das gefuehl geben, dass ich da bin und mich fuer sie interessiere. so geht es in den gespraechen stets um meine gespraechspartner:innen, um das leben im dorf, die friedensgemeinde betreffend. meine realitaet ist zu weit weg von hier, um fuer die leute begreifbar zu sein. es gibt sehr wenige leute, die mir ihrerseits fragen ueber mich stellen und vielleicht stellen sie dann fragen ueber meine sprache oder ueber meine herkunft, aber nicht wirklich ueber mein empfinden.

es ist sehr anstrengend. ich habe das gar nicht gemerkt, im prinzip habe ich nun ueber drei monate fast nur zugehoert. und damit meine ich, gespraeche bewusst so gelenkt, dass es um meine gespraechspartner_innen geht, und so, dass es ihnen gut geht. um ihnen bewusst den raum zu geben. ich kann das gut. und ich tue das staendig. ich lache mit den leuten wenn sie lachen wollen und ich esse mit den leuten, wenn sie mich einladen, und ich aergere mich mit ihnen, wenn sich das pferd nicht einfangen laesst, und bin faul in der haengematte mit ihnen, wenn es regnet.

zuhoeren ist besonders wichtig in notfallssituationen. es ist spannend, es gibt sehr viele wahrheiten. jede fuer sich ein splitter der von den leuten subjektiv erlebten kriegsrealitaet. waehrend laut einer person die guerillas bereits ein gesamtes dorf eingenommen haben, gab es laut einer anderen person einen kampf zwischen guerillas und paramilitaers in der naehe von jenem dorf bei dem zehn kaempfer ums leben gekommen sind und laut unseren naehesten kontakten vor ort einen kampf, bei dem es einen toten gab. da heisst es nachfragen, zuhoeren, geschichten hoeren, radio hoeren, vergleiche, schaetzungen, anrufe machen, leute befragen, alle erzaehlen sie gerne die versionen ihrer wahrheit.

ich merke, dass ich aufgeladen bin mit gespraechen und information, als waere mein innerer platz fuer die empathie aus und voll. der muss dringend geleert werden, dieser platz. alles aufgesaugte braucht ausdruck, ich weiche gespraechen aus, in denen ich nur zuhoere. ich bin jetzt auf urlaub u versuche der allgemeinen erschoepfung raum zu geben. ich finde jetzt selbst seltsam, dass ich dachte, die begleitarbeit waere in irgendeiner weise mit organisationsarbeit vergleichbar. fuer andere da sein und praesent sein auf professionelle art ist ueberaus fordernd.

und ich hoere uebrigens gerne zu. dann wenn wieder platz dafuer ist...

tote im herzen

tagebuchsplitter geschrieben am 7.11 nach dem begraebnis.
meine haut vibriert von den emotionen, von der geladenen energie wenn so viele menschen gemeinsam an einen ort kommen, um sich zu verabschieden. meine schrift ist heute runder, mein koerper schwer von der muedigkeit. wenig geschlafen, viel trauer aufgesaugt.

ich kannte ihn nicht, den mann, der, von allen hier sehr geliebt und geschaetzt, unsere haeuser, tische, baenke konstruiert hat. er hat mit seinen haenden frieden gebaut, sagen die menschen. gestorben an lungenkrebs, und in einen schoenen holzsarg gelegt, wurde er von uns und einem grossen teil der friedensgemeinde aus dem spital auf den berg hinaufbegleitet. es war ein sehr schoener gemeinschaftlicher moment. und die tage und besonders die naechte, die folgten, die letzten in denen sein koerper existieren wuerde, war er aufgebart im herzen der friedensgemeinde, im kiosk. eine kuh wurde geschlachtet, ich verfolgte den prozess in allen einzelheiten. der kiosk wurde mit blumen und kerzen geschmueckt, das grab wurde ausgehoben u mit zement ausgekleidet.
viele familienangehoerige kamen angereist, aus dem ganzen bundeststaat. wir warteten zweieinhalb tage, dass sie alle ankommen wuerden u beim begraebnis dabei sein koennten. waehrenddessen spielten wir karten, erzaehlten geschichten und witze. ich wurde in schimpfworte und geistergeschichten eingeweiht, und freute mich, meine zeit mit sovielen menschen zu verbringen.

zeit rund um den sarg. der durfte nie allein gelassen werden. die sehr erschoepften und traurigen angehoerigen hielten lange nachtstunden ohne schlaf aus. es wurde kalt, feucht und nebelig.die stimmen in der nacht hoerten nie auf, etwas gespenstisch. wenn ich durch sie aufgewacht in der nacht von unserm haus hinunter zum kiosk ging, wirkte er wie ein schloss aus kerzen, das aus dem nebel auftaucht. am dritten tag fruehmorgens fand schliesslich das begraebnis statt, unter vielen traenen und lautem wehklagen.

es herrschte grosse betroffenheit, die sich neben der trauer auch darin auswirkte, dass viele friedensgemeindemitglieder aus solidaritaet mit dem rauchen aufhoerten.
fuer mich war es eine grosse ehre bei einem derartigen lebensbewegenden ereignis dabei sein zu duerfen u mit den menschen zu sein, waehrend sie trauerten, lachten, wachten, stumpf das fleisch auseinanderhackten, um das mahl zu bereiten. fast 3 tage lang nahmen wir den toten und das verabschieden von ihm in die mitte der friedensgemeinde.

27.11.11

was ich begleite was mich begleitet

es passiert viel in kolumbien.
wichtige aemter wechseln, nachrichten, die bis ans andere ende der welt gelangen, ein ex guerillero ist seit anfang november buergermeister von bogota, zweitmaechtigster mann im land. zeichen dafuer, dass ernst gemeinter einsatz fuer den frieden honoriert wird, dass vergangene rollenbilder – wie die der staatsfeinde - aufgeloest werden koennen. 
die regierung feiert sich im lichte der militaeroparation im bundesstaat cauca, bei der FARC chef alfonso cano getoetet wurde. die bisherigen analysen, was das fuer kolumbien bedeutet meinen, die groesste guerillabewegung kolumbiens ist weitgehend geschwaecht, wenn nicht am niedrigsten punkt ihrer kaempferischen moeglichkeiten und schreckenserregenden gewalttaten angelangt. 
unsere hauptinformationsquelle, unsere nachbarn und die leute des dorfrates, meinen jedoch, die FARC wird sich gerade jetzt nicht geschlagen geben, nicht jetzt.
"dialog ist die einzige moeglichkeit, aus dieser situation zu entkommen", meint einer meiner lieblingsgespaechspartner in unserm dorf, "dieser dialog beginnt jedoch sicherlich nicht mit dem tod von alfonso cano". in unserer region sind sie jedenfalls nach wie vor praesent, die guerillas, erst letzte woche gab es einen kampf zwischen paramilitaers und guerilleros in einem benachbarten tal.     

auch auf der mikroebene sind wir beschaeftigt. die "heissen zonen" wechseln. wir werden angefragt, familien zu begleiten, anrufe zu tun, leute von der feldarbeit abzuholen. 
ich arbeite an artikeln ueber die landfrage und den cocaanbau.
ich verbringe gute anteile meiner zeit damit, meine neue kollegin charlotte zu begleiten beim kennen lernen der leute, der arbeit und beim eintauchen in das leben hier. es ist super. sie ist so motiviert u bringt viel aussensicht und andere interessen. viel zu diskutieren, viel lebensbewegendes, linguistisches und analytisches. fein.

aerzte ohne grenzen verlassen die region, um im choco, sozusagen tiefer im dschungel, zu arbeiten. wir waren gestern auf ihrem abschiedsfest mit den leuten von den peace brigades und der UNHCR, in der mini-expatriates-szene von apartado. schoen, zu tanzen, zu trinken, mediterrane snacks zu essen, mit leuten von ueberall auf der welt zu reden. sehr unterschiedliche leute, tw. karrieremaessig hier, teilweise mit einer grossen abenteuerlust. 
und wir sind diejenigen mit der einzigartigen erfahrung, wirklich und einfach bei und mit den leuten zu leben, eine tatsache, um die uns alle anderen organisationen hier beneiden. um das leben mit den nachbarn, den kindern, den tieren. um die freundschaften, die wir hier schliessen koennen und die wir mitnehmen. in den meisten faellen gehen die internationalen organisationen hier nur punktuell in eine gemeinde, arbeiten mehr auf analytischer, anwaltschaftlicher ebene, und auch das mit einem gewissen risiko.

momentan bin ich fast stolz, dieses leben zu haben, die arbeit der begleitung, die mein leben bedeutet, die es aendert. die bedeutet, hier mit den menschen zu leben und mit ihnen mitzugehen. mein anders-sein zu leben - denn nur durch mein anders-sein funktioniert die begleitarbeit - und doch auf gleicher ebene mit den nachbarn zu sein, gebackene bananen von ihnen geschenkt zu bekommen und ihre themen, sorgen, aengste und alltagsfreuden mitzutragen. es bedeutet, ein stueckweit meine eigene interessen zurueckzustecken, zu beobachten. und doch eroeffnet es moeglichkeiten der einsicht in politisches, persoenliches, die moeglichkeit gemeinsam gewalt zu bewaeltigen, ohne mich wirklich einzumischen. und doch bin ich da, in dieser wunderschoenen region, in die kaum reisende zugang haben.  

fuer den moment ist das leben gut hier. fuehl mich gut aufgehoben, sicher durch nachbarschaftliche kontakte, und sie fuehlen sich sicher durch uns und mich. kommen vorbei und berichten nicht nur ueber die yuca und kakao, sondern auch ueber ihre sorgen und das nahe kriegsgeschehen. gut eingebunden im netz der anderen begleitorganisationen. ein "normales", staedtisches leben kann ich jederzeit wieder haben, das hier ist kolumbianische campesino realitaet im kriegsgebiet.  

18.11.11

keine autobahn

am samstag sind wir losgewandert, zu einem ort, der hoffnung heisst. auf der anderen seite des schneehuegels, der noch nie in seiner existenz schnee gesehen hat. hoffnung liegt 5 stunden von unserm dorf entfernt in einem tal durch das der hoffnungsfluss fliesst, von den wenigen familien in dem tal als toilette, bade- wasch- und trinkwasser benutzt. ein heiss umkaempftes tal zur zeit, vor zwei wochen gabs dort einen kampf, 20 minuten entfernt von dem haus, das wir besuchten. es gibt geruechte, dass demnaechst lebensmittel rationalisiert werden sollen, um die leute unter druck zu setzen. bewaffnete gruppen kaufen sich die besten grundstuecke ein und beginnen diese zu verwalten.

wir waren am weg gut begleitet von einem pferd, das unsere rucksaecke trug, und von einer familie der community, zu deren farm wir zum mittagessen gingen, und von weiteren 2 personen, die die aufgabe hatten uns zu entlegenen friedensgemeindemitgliedern zu bringen. an diesem ort hatten wir schon jahre keine praesenz mehr gezeigt, u gina u ich uebernahmen die ehrenvolle aufgabe, die heikle lage vor ort zu erkunden.

dass nicht viele leute ueber diesen weg nach hoffnung gingen, merkten wir ihm an. schwitzen vom ersten schritt an ist klar in dem feuchten klima, im gatsch mit den gummistiefeln steckenbleiben u immer wieder ausrutschen ist mit der zeit sehr anstrengend. wandern ist nichtsdestotrotz eine meiner lieblingstaetigkeiten hier. die gegend ist sooo schoen. so weite sichten, und die dschungelpfade, manchmal auch ein bisschen trockener und steinig, fuehren immer wieder durch baechlein, ueber baumstaemme, durch sehr verwachsene waldstellen und ueber weite weiden. auf der kuppe des schneehuegels wanderten wir durch soo schoene nebel, darauf folgten wunderschoene aussichtsplaetze ins naechste tal.

wir schliefen in haengematten, stellten ersten kontakt mit der familie her, stellten fest, dass wir einige verwandte von ihnen schon kannten. wir assen ueberm holzofen gekochten reis und bohnen und sassen bei kerzenlicht auf holzschemeln u maissaecken zusammen, redeten ueber ihre geschichte der vertreibung, den anderen orten, an denen sie gewohnt hatten, das beduerfnis, wieder an den ursprungsort zurueck zu wollen. wir redeten von den familienmitgliedern, die ins ausland gehen mussten, den fruechten, die sie anbauten. und wir redeten ueber geistergeschichten, hexen, spukende seelen, die etwas im wald vergessen hatten und zurueckkehrten, um genau das zu suchen. wir feierten den einjaehrigen geburtstag des enkelkindes mit dem gesamten tal.
das fest fand statt bei dem kleinen gschaeftl am fussballplatz, an dem man vielleicht 20 verschiedene dinge kaufen konnte. dem einzigen ort mit handysignal in der gesamten gegend.die batterien wurden mit leuten, die in "die stadt", die 3 fuss- oder pferdstunden weiter weg lag, mitgeschickt zum aufladen, denn strom gab es im gesamten tal keinen.

wir zeichneten eine landkarte vom weg und der gegend, dokumentierten geschehnisse, kriegsgeschichten und familienbande. wir wussten nicht, wer in dem tal fuer wen arbeitet, wer in welche politische richtung denkt. eine spannende situation. wie eine erkundungstour.

am rueckweg war ich muede, von den kaffeelosen tagen, den haengemattennaechten, dem abgekochten-wasser. die erste stunde des rueckweges durfte und wollte ich auf dem pferd sitzen. als unerfahrene reiterin ist das zwar lustig, jedoch wenig effektiv. das pferd findet sehr leicht den einzigen weg ohne dass ich "lenke". ich konnte dem pferd nicht so gut klarmachen, dass es schneller gehen sollte, es ist schliesslich ueber jeden graben gesprungen, was jedesmal laengere antriebsversuche erforderte. bei einer baumstammstufe setzte es sich schliesslich hoeflich nieder u ich stieg gerne ab.
unser begleiter uebernahm das reiten und ich stapfte bergauf richtung schneehuegelnebelkuppe voll von den erfahrungen der letzten tage. schoen, den weg schon zu kennen.

in meinem kopf formten sich saetze, die ich schreiben wollte. eine zeitlang glaubte ich sehr kraftlos zu sein am steilen rutschigen weg u ich erinnterte mich an die herausforderungen der peace studies. ich dachte ans butoh tanzen, an dem die begegnung mit den eigenen schatten an jenem punkt startet, an dem wir die grenze der koerperlichen anstrengung ueberschreiten. irgendwann ging mein koerper von selber. wie ein tanz mit dem berg, den steinen, den baeumen, an denen ich mich festhielt, den festeren gatschhaufen am boden, die mich manchmal abrutschen liessen in die tieferen gatschwasserloecher. vielleicht war ich in trance. als wir auf der huegelkuppe ankamen war ich so ueberrascht, es kam so ploetzlich! und dann bergab, viel leichter, singend, voller vorfreude auf die angenehmen dinge und bekannten gesichter in unserem dorf.

2.11.11

ferien vom krieg

ich mag nochmal schreiben - zur beruhigung aller, die um mich fuerchten, oder derjenigen, die planen, auf die solireise mitzufahren: hier fallen mir weder bomben auf den kopf, noch werde ich vergiftet. was es ist, das mich beschaeftigt, sind meine eigenen themen, die immer wieder auftauchen, die ich an vielen orten mittrage und in mir hatte und mit mir haette.

meine eigene schwierigkeit mit viel zeit, in der wenig passiert, umzugehen, bzw. diese geschichtsaufarbeitung zu begleiten, die einfach durch da sein passiert. dadurch den aktivismus zu staerken, der zum alltag geworden ist. diese leute hier kaempfen darum, grade hier auf ihrem land leben zu duerfen. und dafuer leben sie. in new york city waeren sie hoechstwahrscheinlich sehr ungluecklich, das sind sie schon, wenn sie 20 min weiter unten hin auf den huegel ziehen muessten und das mit vollem recht. ich bewundere diese verbundenheit mit dem eigenen land. die wurzeln, die wirklich fest in der erde sind. die fehlen mir vielleicht. jedenfalls habe ich allergroessten respekt davor.

was uns darueber hinaus momentan beschaeftigt, ist die leere, die bleibt, und die sorge, wenn viele menschen krank sind. ein engagiertes peace community mitglied hat lungenkrebs und wird demnaechst sterben. thema nummer eins. er hat alle unsere haeuser hier gebaut, unsere betten, unseren tisch. er ist mit fast dem ganzen dorf in irgendeiner weise verwandt, oder sehr gut befreundet. die kultur hier, mit krankheiten umzugehen, ist manchmal schwer auszuhalten. viel nicht-wissen, wegschauen, hinauszoegern, engen verwandten nicht sagen, was wirklich sache ist...und manchmal koennten wir uns die haare raufen, wenn krebs in der gleichen weise behandelt wird, als haette jemand kopfweh und doch hat der doktor die autoritaet. das private krankenhaus waere natuerlich besser, doch un-leistbar.

drei andere friedensgemeindemitglieder sind auch grade krank, eine frau wurde in der nacht in einer haengematte den berg hinuntergetragen. eine sehr anstrengende arbeit, die striemen auf den schultern hinterlaesst!
diese themen druecken auf die stimmung. und in der stimmung leben und begleiten wir schliesslich.

heute war ich ganz langsame runden spazieren am "sportplatz". nach einer gedankenversunkenen einsinguebungsingenden rundenstunde im sonnenuntergangslicht lief mir mein lieblingsmaedel entgegen und brachte mich zu einem guanabanabaum, auf dem wir herumkletterten und auch ernteten. so aufregend. ich laufe u singe u schreie oft mit dem kind (gemeinsam mit ihr), sie war die erste person, die ich gesehen habe. als ich das erste mal das dorfholztuerl geoeffnet hab, spielte sie auf dem boden, u sie war die erste, die meinen namen wusste. ich bin total dankbar fuer sie, fuer alle menschen, die mich ernst nehmen und mit denen ich persoenlichere dinge tun oder reden kann.
und ich freue mich soo ueber emails! oft kommen sie wie lichtblicke und geben mir kleine impulse fern von den alltagsdingen, die hier auf uns lasten.

jetzt beim (und nach dem) nachrichtenschauen hatte ich gespraeche ueber liebesgeschichten (neben denen ueber krankheiten u magenschmerzen). ich bin wirklich froh ueber unsere regel, dass wir uns hier auf keine affairen einlassen, es waere so kompliziert! und die leute wissen ohnehin alle geschichten von allen. auch die von den volunteers untereinander. es verfolgt mich bis in meine traeume, dass irgendeine frau boese waere, wuerd ich zuviel zeit mit einem der maenner verbringen. wir sind schon sehr auffaellig hier.

morgen geh ich wieder auf salida (das sind meine drei freien tage jedes monat) u hab dann zeit online und fuer sonstige stadt-aktivitaeten, genau wie ich es mir grade vorhin gewuenscht habe. ja, ich kann immer etwas tun, in jeder situation. bin nicht gefangen im dschungeldorf, sondern freiwillig hier.
sogar sehr privilegiert, mit ueberblick, rueckflugticket und ferienzeiten: ferien vom krieg, den krankheiten, den gespraechen ueber den krieg und denjenigen ueber die kranken, ferien von den engen familiaeren strukturen. meiner rolle, aus der ich nie aussteige, auch im schlaf im FOR t-shirt nicht.
letztes monat war ich am strand (allerdings bei sturm!) und diesmal hab ich vor, ein schwimmbad u ein kino zu suchen...

und: naechste woche kommt eine neue kollegin ins team! aufregend! da werde ich diejenige sein, die ins training involviert ist und dinge weitergibt. freu mich sehr darauf.

1.11.11

new york city

warum ist es so schwierig, hier zu sein? In den letzten tagen langweile ich mich. bin oefters unzufrieden. mag nicht immer mit den gleichen leuten zeit verbringen.
es ist soooo langweilig hier! die zeit meines trainings ist vorbei, es gibt weder viele notfaelle, noch viel neue information, richtigerweise gibt es die informationen sicher, doch die leute, von denen wir sie bekommen sind oft nicht anzutreffen und die internetverbindung zu langsam. einige begleitanfragen wurden wieder abgelehnt aufgrund der ungenuegenden sicherheitsanalyse und auch aufgrund von missverstaendnissen.

tagsueber gehen die leute zum ernten. was machst du heute? wohin gehst du? fragen wir sie am anfang des tages. heute hole ich yucca, kakao, holz, ist die antwort. und jeden tag sagen sie das gleiche! yucca, kakao, holz. manchmal bananen. in den letzten tagen gehen sie manchmal in die stadt ins spital, wo derzeit einige friedensgemeindemitglieder sind.

unsere “computerarbeit” ist im vergleich zu dem, was ich frueher gemacht habe, ein wirklicher klacks. ich habe echt gerne viel zu tun. ich erledige alles schnell u sofort und sehr sehr gerne. es bleibt immer zeit. die analyse- schreib – meetingsvorbereitungsarbeit finde ich wirklich interessant. ich kann mich da hineinvergraben u danach eine runde am fussballplatz laufen. der ist etwas abschuessig und dient gleichzeitig auch als tierweide. laufen tu ich in gummistiefeln, natuerlich. oft runden um fussballspielende kids.

ich suche mir viele taetigkeiten. als team beschliessen wir, wer wann einkaufen geht, wer wen wohin begleitet.
ich habe selten in meinem leben so viel gelesen!
putzen oder waschen steht oft an. kochen. ich bin aber doch nicht zum haushalt fuehren ins kriegsgebiet gekommen. oder teilweise doch...
natuerlich leute treffen. ich mag aber nicht immer besuch haben noch immer leute besuchen. was wuerde ich reden? ueber yuca, kakao, holz. das essen.
es funktioniert nur selten, und nur mit einigen menschen, ueber die poltische situation zu sprechen, oder ueber dinge ausserhalb dieser kleinen lebenswelt. am samstag war es besonders interessant. in der nacht zuvor wurde ein wildschwein geschlachtet und dann am samstag das fleisch von den frauen in allen haeusern zubereitet. ich konnte sie dann alle fragen, welches stueck des tieres sie gerade zubereiten. in jeder kueche die gleiche taetigkeit!

es ist soooo uninspirierend! ich kann viiiel mehr tun! und ich will mehr tun! ich weiss, ich brauche extrem viel anregung von aussen, suche interesante gespraeche, aufgaben, hobbies, raeume, gruppen. fahre hierhin u dorthin. im hub in wien verbrachte ich viel zeit mit  menschen, die spannende konzepte fuer altnernative raeume entwickeln, die netzwerken, so viel spezifisches wissen haben, so viele interessante menschen kennen.
ich bin mir grade nicht sicher, ob meine viele energie hier richtig eingesetzt ist.

grade wenn es so ruhig ist, kommen die themen wieder, um die sich mein leben oft dreht: perspektiven, gespraeche, hohe ansprueche an meine freundschaften und: unterforderung! ich frage mich, ob ich je einen beruf haben koennte, bei dem ich nicht unterfordert waere. habe ich fuer diesen einsatz schon mein ganzes leben geaendert, lasse mich auf einen komplexen konflikt ein, arbeite in drei sprachen u was kommt dabei heraus? ich will mehr! perspektiven, gespraeche, anregung, spannung, forderung…ich wuensche mir wieder einen netzwerkjob – nicht einen, bei dem ich hier bleiben muss und den huehnern zuseh.
in meiner naechsten taetigkeit sehe ich mich in new york city, wo sich die szenen u strassen tagtaeglich aendern. die kunst geht mir so ab, wow, die demos, das durch die stadt radeln u schauen, was sich tut. kinofilme, performances, stadtschritt, musik.

ohhhhh!!! ich hab so grosse STADTLUST!!

und andererseits ist es ein drachentanz,
von vorne bis hinten in jedem schritt.
das ausgesetzt sein, das beobachten in dieser ganz spezifischen situation.
die ganz spezifische info, das friedliche alltags-dasein im konflikt. das damit umgehen.
die analysen,  das suchen meiner raeume, meiner taetigkeiten. es gibt einige schoene maenner hier und einfach liebe menschen. sie alle haben hier ihre familie. und ich bin diejenige von aussen, die hier sein soll, aber sich doch nicht zu tief einlassen soll aufs gemeinschaftsleben. die freundschaften sind nie ganz auf der gleichen ebene ich bin ohnehin an meiner grenze, was kontakte betrifft, zuviele aehnliche gespraeche mit immer wieder den gleichen menschen.

wow, das klingt richtig hasserfuellt, richtig abgehoben, praepotent!
ich  schaetze diese gespraeche auch oft. und die ruhe. ich mag das aufwachen zu musik u ich kenne schon die pferde, die zwischen unseren haeusern spazieren. aber manchmal mag ich auch gar nichts hier!

die bandbreite meines erlebens hier reicht durch alle gefuehls- und stimmungslagen. und so ist das im prinzip an jedem ort...

es ist sicher gut, leer zu werden. zu sehen, wo mich das leben als naechstes hinspuelt. die erfahrung mit all ihren facetten und schwierigkeiten anzunehmen.

im prinzip weiss ich, dass ich diejenige bin, die den dingen den sinn geben kann.

was fuer eine prinzessinenwelt, aus der ich komme, in der ich mir so gut wie jede minute aussuchen kann, was ich tun will. und auch eine schoene welt, in der ich meine raeume suchen und gestalten kann. das fehlt mir sehr.

23.10.11

gift & bomben

kolumbien hat die drittgroesste hubschrauber"flotte" der welt! und davon hoeren und sehen wir reichlich. schuld ist plan colombia, finanzhilfe aus den USA, die im letzten jahrzehnt in das land gepumpt wurde, vorrangig, um den drogenhandel einzudaemmen, im grunde militaerische unterstuetzung.

zeit beschaeftigen uns hubschrauber, die bomben in der naehe von haeusern von friedensgemeinde mitgliedern in einem abgelegeneren teil des dorfes abwerfen und hubschrauber, die gift abwerfen, um cocapflanzen zu zerstoeren, ebenso in der naehe von grund und haeusern der friedensgemeinde. jedoch zerstoert dieses gift nicht nur die cocapflanzen sondern lebenswelt von tieren und menschen.

gestern war ein treffen im dorf, so gut wie alle gingen hin, sassen unterm sternenhimmel in der runde. ein mitglied des consejo gab information zu toten tieren, durchfall von kindern und anderen schauderhaften auswirkungen des besagten giftes. danach kamen einige in unser haus und berichteten. in dem fall ist es wirklich das staatliche militaer, das dieses verbrechen begeht, das das eigene land zerstoert und seine bewohner_innen bedroht. es ist kaum zu fassen, dass diese dinge hier passieren. alle menschen hier und das schoene dorf und ihre tiere werden davon betroffen sein, wenn mehr gift gespritzt wird. es koennte ins wasser gelangen, niemand kennt die langzeitauswirkungen. es gibt hier im umkreis des dorfes kaum cocapflanzen!

am abend der bomben bekamen wir einen anruf, dann gab es kein handysignal mehr. wir befolgten die notfallsprotokolle, koordinierten mit dem bogota team, riefen beim militaer an. die antwort ist immer: "nein, es passiert gar nichts." wer wuerde schon zugeben, zivilbevoelkerung zu gefaehrden? es war etwas stressig. so nahe. (naja, 7 h zu fuss...). so wenig wissen. keinen kontakt zum betroffenen gebiet. das gefuehl, ignoriert zu werden, machtlos zu sein.

es ist niemandem etwas passiert, heute klopfte der herr an unsere tuer, in der naehe dessen grundstueckes die bomben gefallen waren. "schaut mal!" - er zeigte uns eine leere huelle in der die explosive munition abgeworfen worden war. er hatte sie auf dem weg gefunden. tags darauf waren wieder bomben gefallen. sie hatten die volksanwaltschaft informiert. die bomben waeren einfach auf das gras gefallen, dort gibt es kein coca, aber der boden ist so oder so zerstoert. warum genau die gewalt, wissen wir noch immer nicht.

friedensgemeindemitglieder, sowie ihre begleitpersonen, und menschen, die einen wichtiges service fuer die gemeinde verrichten (wie oeffentlicher transport zb) sind durch die massnahmen des interamerikanischen menschenrechtsgerichtshofs geschuetzt, 2004 (?) vom klumbianischen verfassungsgerichthof anerkannt. ihr leben und ihr land ist dadurch geschuetzt und uns geben die massnahmen rueckendeckung um rechtlich zu argumentieren. und die militaers und alle staatsorgane kennen diese schriften.
was waere schon die allgemeine erklaerung der menschenrechte allein? beziehungsweise das international humanitarian law (keine ahnung wie das auf deutsch genau heisst...), das ja in faellen von kriegen prinzipiell die zivilbevoelkerung schuetzt.
wir internationalen organisationen geniessen darueber hinaus den rechtsschutz einer weiteren richtlinie in der kolumbianischen verfassung.

die zwei anerkannten politische analyse-organisationen sind sich un-einig, ob die vielen hubschrauber, sinnbild fuer ein modernst ausgeruestetes kolumbianisches militaer, grundlage waren um die guerilla zu besiegen. eine davon meint, sie waeren seit 2007 signifikant zurueckgedraengt worden, waehrend die andere meint, es gibt in letzter zeit wieder mehr initiative attacken von seiten der illegalen gruppen.

tatsache ist: in diesem land gibt es krieg! es sterben einige militaers und mitglieder bewaffneter gruppen jede woche, dabei schreibe ich nur von den offiziellen zahlen, die ich in den abendlichen nachrichten sehe, und von denen wir in den zeitungen lesen. ganz zu schweigen von bomben, die vor zugedrueckten augen der machthabenden in der naehe von friedlichen doerfern fallen oder gespritztem gift, das zerstoerung in einem ganzen landstrich bringt.

"als bauer in diesem land neutral zu sein, ist eigentlich nicht moeglich! staendig wird man beschuldigt, informant zu sein, die eine oder die andere illegale gruppe zu unterstuetzen", hoerte ich erst vor einigen tagen vom einem community mitglied. "nein, hier ist wirklich kein ende des krieges in sicht."

14.10.11

wirklichkeiten


so sitze ich auf meinem lieblingsarbeitsplatz am holzbretterboden auf der terrasse u lese ueber kolumbiens erstaunlichen wandel von einem “failed state” zu einem international anerkannten entwicklungsmodell. namhafte liberale oekonomen loben zurzeit die wirtschaftspolitik des landes, ein freihandelsabkommen mit den usa ist grade in den letzten runden, um  ratifiziert zu werden.
das ist eine der vielen seiten dieses reichen landes.

vorige woche war ich bei der familie einer professorin in medellin eingeladen und gemeinsam mit ihren freund_innen sehr herzlich empfangen. das grosse interesse an meiner arbeit ging einher mit einer ungewissen angst und teilweise mit unwissen, was in der región uraba wirklich vor sich geht. medellin selbst hat eine sehr gewaltvolle geschichte, jede der anwesenden personen hatte erinnerungen an zeiten der gewalt in den strassen, an schuesse, leichen und angst. jetzt jedoch war ich zu gast in einem der reichsten viertel medellins in einem zweistoeckigen apartement mit glaenzenden dunklem holzboden und einer herrlichen sicht ueber die stadtlichter durch die fensterfront. eine kleine wohnung in luftiger hoehe eines bewachten wohnhauses inklusive zwei bakonen und vier toiletten - obwohl dort nur eine person lebt – und natuerlich ihre gaeste. es gab superleckeres essen und ich bekam einladungen und telefonnummern fuer reisen und fuer alle faelle. wir redeten ueber frankreich und ueber klimt bilder.

es ist so wahnsinnig beeindruckend und gleichzeitig schockierend und verwirrend, wie schnell es in lateinamerika moeglich ist, die szenarien zu wechseln wie tapeten, die mein leben signifikant unterschiedlich einfaerben (jedenfalls aus meiner weisshaeutigen position mit einem europaeischen pass, ein bisschen geld und ein paar kontakten).“wenn irgendwas passiert, setz dich einfach in den bus und komm zu uns!”
 es fuehlt sich jedenfalls gut an, solche inseln zu haben, in die ich mich jederzeit zurueckziehen kann und abstand nehmen von der bauerlichen realitaet unter militaerhubschraubern und tropischen regenguessen.

da war jedoch dieses gefuehl, das in mir aufkam, als ich diese lieben leute sprechen hoerte: beurteilungen aus einer distanz - ich bin mir nicht sicher, ob bewunderung, oder doch eher abneigung gegen die wahl eines derartigen lebensstils. ich meinte, kaum jemand von ihnen koennte sich vorstellen, in dieses gebiet zu reisen, geschweige denn dort ein normales leben zu fuehren.
eine realitaet, die in dem moment viel weiter weg war von uns als die europaeische.

ich redete offen ueber meine eingewoehnungsschwierigkeiten u die muehe und dauer mit der wir alltaegliche taetigkeiten wie waesche waschen und einkaufen durchfuehren. und ueber die herzlichkeit und dankbarkeit der leute, die internationale aufmerksamkeit zu bekommen. die abenteuerlichen arbeitstage. die prinzipien der friedensgemeinde, die mit groesster anstrengung und entgegen die herrschende politik ueber die letzten - mittlerweile fast 15 - jahre gelebt werden.

warum ich mir das aussuche, dort zu arbeiten, fragen sie.
hm, vielleicht, weil ich mir sonst keinen akademischen job haben werde, der so viel begleitarbeit und mitleben mit menschen erfordert? was bedeutet: in der natur zu sein und in einem gebiet, das sonst kaum leute kennen noch bereisen. und der gleichzeitig eine praxis der gewaltfreiheit darstellt. in aller ruhe der doerflichen abende, zwischen den pferden, die unsere bananen- und orangenschalen vor der tuer auffressen. mit staendigem blickkontakt zu den nachbarn in dem wachsenden raum, den wir mit-konstruieren, um diese insel ohne waffengewalt im umkaempften uraba zu erhalten.

jedenfalls fuehlt es sich sehr gut an, hier zu sein. und so verschiedene dinge erleben zu duerfen.

ich schluerfe meinen bananensaft, es riecht gut nach frischer waesche. emily arbeitet im gemuesegarten, gina ist mit freunden aufgebrochen, um avocados zu ernten. in den letzten tagen schlafe ich sehr gut hier und fuehle mich gut eingefuegt in das dorf, in entspannter praesenz und mit einem gesunden lebensstil.  so viel obst, so viel gute luft, so viel saunagefuehl. naechtliche yogauebungen auf der kuehlen terrasse.

es sind so andere dinge die uns hier beschaeftigen. ich habe begonnen, jeden abend um 7 mit den nachbarn die nachrichten zu schauen, ein einziger fixpunkt am tag. so erfahre ich ueber die attacken des militares gegen die farc in zwei bundesstaaten und die studentenproteste im ganzen land. unterbrochen durch viele werbepausen. produkte und menschen tanzen ueber den bildschirm, die sehr sehr weit entfernt scheinen von der erdbodenkueche in der wir sitzen: die hendln brueten in einem eck, das baby am arm weint und ein hund schleicht um meine zerstochenen fuesse.

ich habe die 6 woechige lekture des trainingshandbuches abgeschlossen und das erstellen der woechentlichen analysedokumente ist beinahe zur routine geworden. es wird jetzt ein bisschen frueher dunkel, abgesehen davon, dass es bei vollmond nicht wirklich dunkel wird. wir haben nie eile. ausser wenn wir unterwegs und so spaet dran sind vor einbruch der dunkelheit. wie vor einigen tagen bei unserem aufstieg. gina und ich rannten in der daemmerung den weg hinauf, und das mondlicht half uns, ueber die letzten wiesen gut ins dorf zu gelangen.  wir waren uns einig, dass wir im prinzip unten in la holandita uebernachten haetten muessen in dem fall.

jedenfalls wars gut, wieder angekommen zu sein, nach der besprechungswoche in medellin, wo wir bei einer teamklausur eine detaillierte situationsanalyse und einen arbeitsplan fuer die naechsten 6 monate erstellt hatten. ueber die naechsten ziele in der politischen und internationalen arbeit und ueber die notwendigkeit der aenderungen unserer begleitarbeit, der sicherheitsprotokolle und dem umgang mit den menschen. und mit vielen, vielen geschichten ueber die peace community. besprechungstage mit viel schokolade, milchkaffee und kosmopolitischen speisen, gekocht aus stadt-zutaten.

viele unterschiedliche realitaeten. und alle sind sie so real und existieren nebeneinander ein paar stunden und gespreache voneinander entfernt. 

10.10.11

schokofrieden ohne bier

den ganzen september lang feierten wir das monat der liebe und freundschaft in kolumbien. el mes del amor y de la amistad. in unserer región wurde “amigo secreto” gespielt also "heimliche freunde". ein engerl-bengerl uebers ganze monat hindurch mit dem ganzen dorf, umliegende hoefe miteingeschlossen. die aufloesung und abschlussgeschenksuebergabe fand am ersten oktober statt.  und es gab ein fest!

ich muss ja sagen, ein bisschen nervte es schon, mit allen leuten im dorf staendig verdaechtigungen anzustellen, wer wohl mein amigo secreto oder derjenige des gespraechspartners waere. jedenfalls gabs ein gespreachsthema, das allen gemeinsam war. und das ein monat lang. nach dem zetterl-ziehen wurde den ganzen september hindurch geraetselt wer wohl den eigenen namen gezogen haette, andeutungen gemacht und kundgetan, was fuer ein geschenk man sich wuenschte, kleidergroessen ueber dritte erfragt, gemeinsam auf den markt gegangen, um geschenke zu kaufen, oder gar namen getauscht, sobald man meinte, die person haette erraten wer sie beschenken wuerde. ihr koennt euch gar nicht vorstellen, wie viel wir hier ueber dieses thema geredet haben, ich traeumte sogar davon, was ich meinem amigo secreto schenken wuerde!

die aufloesungsrunde war ein schoenes ritual. wer nicht erriet, wer der amigo secreto war, von dem man das geschenk erhalten wuerde, musste eine kleine "strafe" in der mitte des kreises tun, zb. singen, tanzen, huepfen... die runde begann sehr schuechtern und endete in einem ausgelassenen tanz. ich tanzte salsa in gummistiefeln, meinem gruenen kleid und natuerlich dem FOR t shirt. und ich fand heraus, dass vallento tanzen ein bisschen wie contact impro ist. uebergluecklich, dass ploetzlich so viele menschen um mich waren, nicht immer nur die 10 gleichen nachbarn. viele leute hatten sich die haare geschnitten, sodass ich manche gar nicht wiedererkannte und viele reisten aus den umliegenden streusiedlungen an.  die musik war laut, es wurden viele suessigkeiten verschenkt und auch ganz ein bisschen heimlich getrunken, was ja in der friedensgemeinde per gruendungsvereinbarung "verboten" ist.

ich mag das leben-ohne-alkohol-prinzip. es veraendert die beziehungen und das gegenseitige in-kontakt-treten enorm, verglichen mit europa u auch jeder anderen lateinamerikanischen gegend, die ich kenne. am abend laden wir die nachbarn zu heisser schokolade ein. mit alkohol gaebe es hier viel mehr aggressivitaet, da bin ich sicher. fuer manche – besonders juengere - gemeindemitglieder bedeutet es auch entbehrungen, jedenfalls aber das bilden einer neuen internen kultur, abseits des kolumbianischen biers.

mein amigo secreto schenkte mir einen tollen schwarzen flatterrock mit so viel glitzer drauf, dass ich ihn ausserhalb kolumbiens nie anziehen wuerde. aber hier in der gummistiefen- t –shirt kombination ist er perfekt u ich bin schon ausgeruestet fuer den naechsten tanz!

29.9.11

harte themen, harte worte. oder: was die welt braucht

es scheint, als wuerden hier in kolumbien viele kaempfe und themen dieser welt, ihrer politik und ihres wirtschaftssystems ausgetragen: die andere seite der medaille, ein land, das niemanden interessiert - beziehungsweise dessen dynamiken viele fuerchten - und doch hochgradig leidtragend ist von unseren fatalen wohlstandsgewohnheiten und den politisch ausgehandelten relativen und so zerbrechlichen gleichgewichten, die auf hohen zaeunen der ausgrenzung, auf ungleichheit, hunger und mord basieren.

hier tobt der kampf und schwelt weiter - loesungen oder gar transformation sind nicht in sicht. stattdessen diskursaenderungen, diplomatie, medienstrategien, um die ausbeutung unter den deckmantel von nachhaltigkeit und entwicklung zu stecken.

eine komplexe von gewalt gepraegte geschichte, verursacht durch eine ungeklaerte land- und ressourcennutzung, durch systematische internationale ausbeutung ueber jahrhunderte hinweg, die unterdrueckung politischen widerstands und die verweigerung von demokratie. letzteres jedoch nicht nur von innen heraus sondern durch im kampf um weltmacht und ideologie, ein nebenprodukt der angst vor kommunistischen diktaturen (wie sie in kolumbien nie wahrscheinlich war), gewaltvolle systeme von komplizenschaft und der schaffung von feindbildern. deswegen wurde einige jahrzehnte lang beliebter weg eines widerstandes in kolumbien der bewaffnete kampf im untergrund. insgesamt haben hier 12 guerillagruppen existiert. spiralen sich reproduzierender gewalt.
politische opposition wurde umgebracht.

kolumbien ist leidtragend von waffenimporten, die im schatten der offiziellen kanaele gegen im norden beliebtes coca gehandelt werden, das gesunde menschen in gesunden systemen nicht in diesen mengen braeuchten. drogenkonsum, der ein mafiasystem schafft, das der korruption in allen politischen raengen tuer und tor oeffnet. millionengewinne, die in keiner bilanz sichtbar werden.

die ausbeutung in der blumen-, frucht-, wasser-, bodenschatzproduktion. riesenstaudaemme, die doerfer und ihre bewohner_innen wegschwemmen.
und damit die grosse landfrage, die die nation bewegt, so wie machthabende weltweit, die ihren einfluss auf "reiche" laender sichern muessen. hier regnet es genug. zu klimawandel und umweltzerstoerung wurde wohl wenig beigetragen.

ausbeutung ist auf dem ganzen lateinamerikanischen kontinent thema seit seiner "entdeckung" durch menschen, die glaubten, hier ihre horizonte zu erweitern und dabei brutal raubten und ideologien und lebensentwuerfe aufoktruierten. lebensentwuerfe von besitz und heldentum, von macht durch kontakte und dem recht des staerkeren, prinzipien denen wir noch immer verbunden sind. und denen traurigerweise jetzt weltweit wir menschen nacheifern.

das ganze eingebettet in einen scheinheiligen menschenrechts- und demokratisierungsdiskurs, der jedoch genauso von europa und nordamerika gefuehrt und getragen wird.

eine welt in der jede auf  ihren vorteil bedacht ist. wir sind darueber nicht hinweg, die welt ist es nicht. alles haengt zusammen, und kolumbien kann viel zu einem positiven zusammenhaengen beitragen. und kleine projekte koennen das, und wir alle.

im friedensdorf herrscht manchmal demotivation. die mitglieder werden weder von regierung, noch dem rechtssystem ernst genommen,  die repraesentant_innen fuerchten drohungen. viele wurden schon ermordet.  die gewalt foerdert das partriachale system, vieles wird von wenigen maennern entschieden. ich bin habe meine kritik an der alternative des friedensdorfes, beziehungsweise bekomme ich in meiner position sehr viel alltagsleben mit, weniger politisch - strukturelle. mutig ist das jedenfalls und bewundernswert, was die leute hier auf die beine gestellt haben und jeden tag weiter leben. es schafft eine insel, ein kleines gebiet, auf dem mit frieden experimentiert werden kann. jedoch ist die insel so wenig akzeptiert u hat so wenig ressourcen, um sich kaum mit seiner weiterentwicklung beschaeftigen zu koennen, noch damit, wirklich in frieden zu leben, da die sorgen so praesent sind. und doch wird hier schon wirklich viel getan und ein mutiger und sehr steiniger weg gegangen.

ein bisserl frustrierend ist das schon alles. und das sind ja erst meine ersten einblicke in die komplexen strukturen und historischen zusammenhaenge und ihre realen auswirkungen auf die menschen und meine arbeit hier. im dorf ist es ja keinesfalls meine rolle, kritik zu aeussern, noch strategisch etwas einzubringen. hoffentlich nutzt schon die praesenz allein, um mut zu machen.

aber es ist auch motivierend. es gibt so viel zu tun!

...und dazu gibt es den schoenen spruch, dass die welt nur veraendbar ist, indem wir etwas tun, wobei wir uns wirklich lebendig fuehlen:

Was die Welt braucht
Frage Dich nicht, was die Welt braucht. Frage Dich, was Dich lebendig macht und dann geh' hin und tue das Entsprechende. Denn die Welt braucht nichts so sehr, wie Menschen, die lebendig geworden sind.


(Don't ask yourself what the world needs. Ask yourself what makes you come alive, and go do that, because what the world needs is people who have come alive.)


John Eldredge
american christian counsellor and author (*1960)

milchkaffee in der giraffenschale

so beginne ich, sehr dankbar zu sein fuer alles, was ich hier erleben darf: ausritte, dschungeltouren, lange ersehnte regenguesse, kontakt zu lieben menschen, die ihr leben aufs spiel setzen, um hier in frieden bzw im widerstand zum krieg und zum kolumbianischen staat zu leben. ich beginne sogar, das klima zu moegen - wo kommt bloss der viele schweiss her??

ich hab es sehr gern, durchs dorf zu wandern u stehenzubleiben, wo grade jemand auf den stufen sitzt, jemand bei der tuer herausschaut, ein plaeuschchen, ein kaffee in einer plastiktasse. die sterne am abend und das erste lied, das fruehmorgens uebers dorf weht. der geruch nach holzoefen und das regenprasseln am blechdach.

ich mag unsere arbeit sehr! besonders, dass wir auf spanisch und auf englisch arbeiten, und ich mag die viele information, das viele neue! ich verbringe hier mehr zeit lesend als jemals in meinem leben - ausser in zeiten, als ich fuer pruefungen gelernt hab...
zurzeit bereiten wir uns auf treffen vor. diese woche verbringen wir grossteils mit analysen und nachbesprechung der situation des dorfes im kontext des konfliktes in den letzten monaten. das ist spannend, und ich habe ja gerne viel zu tun. und doch ist alles in einem faulen sonnentagstempo, zeit fuer ein schlaefchen zwischendurch haben wir so gut wie immer. 
ich beginne ueberblick zu gewinnen ueber die aufgaben und die veraenderungen der teamsituation der naechsten monate und freu mich darueber. 
hab ich mir das nicht gewuenscht? herausforderungen ueber die organisationsarbeit hinaus? mitleben und arbeiten direkt an der basis? 

mein koerper ist tapfer. zerstochen und zerkratzt, verschwitzt, manchmal magenflau, muss er mit seltsamen geruechen umgehen, mit meiner unruhe in der nacht *noch immer* der staendigen unsicherheit, in der sich die menschen, die wir begleiten, bewegen und mit dem vielen unterwegs sein, den sich staendig aendernden bedingungen. und die gute waldluft. unglaublich, wie schnell ich mich gewoehne. 

ich mag jetzt unser essen!! wir kochen soo viel gemuese und ich habe begonnen, sehr viel selbst zu kochen. zwiebel, tomaten, paprika, melanzani, karotten, kartoffel, bananen in allen denkbaren varianten, dazu oefters nudeln, reis oder selbst gemachte tortillas. eier koennten wir haben soviele wir wollten, aber das ist auf die dauer langweilig.

ich hab mir mein eigenes porzellanhaeferl gekauft, im vergleich zu den tassen hier riesig (so wie ein mueslischuesserl). daraus trinke ich kaffee, kakao und selber gemachten fruchtsaft. unsere nachbarn, die uns fast jeden abend besuchen, lachen darueber. da koennte ich mir ja gleich eine ganze waschschuessel kaufen, meinen sie. sie sind lustig. fuer mich bedeutet es ein haeferl voll glueck und sauberkeit.

heute frueh gabs milch! emily hatte milch gebracht, und sie bei der nachbarin eingekuehlt. was fuer ein festtag. ich trank gleich zwei giraffenschalen voller milchkaffee.


yuca & frieden


heute wurden wir gefragt, einige der maenner im dorf zu den feldern zu begleiten, wo die yuca waechst. eine weisse wurzel, die aus dem boden gerissen, in saecke verpackt, auf pferde gebunden, und anschliessend am markt verkauft wird. die dorfbewohner (meist maenner) gehen dorthin fast jeden morgen, um die yucca zu ernten und einige pferde damit vollzuladen. und da die leute momentan etwas besorgt sind um die steigende militaerpraesenz rund um unser dorf,  wurden wir gefragt, sie zu begleiten.
 
was fuer ein abenteuer! auf dem weg dorthin ritten wir auf den ruecken der mulis (kreuzung pferd/esel), die beim abstieg die saecke voller yuca tragen mussten. im schatten der kakaofelder, die der friedensgemeinde gehoeren, stiegen wir einen schmalen pfad hinauf, schoen und ruhig und natuerlich auch matschig, wie alle wege hier. so ein weites grosses land. durch graeben und baeche und durch viel gruen. alles lebt.

faszinierend, dass es das ganze jahr lang yuca gibt.
fuer einen sack, 60 kg, bekommt man am markt 30.000 pesos, das sind etwa 12 euro. auf meine frage, ob das ein guter preis ist, sagen sie: ja, fuer den, der die yuca kauft schon, fuer uns nicht. so viel arbeit fuer einen sack yuca: 45 min hinaufgehen mit den pferden, sie aus der erde reissen und ernten, auf die pferde hieven, hinuntergehen ins dorf (wieder 45 min), hinuntergehen zum markt (2 h), wieder hinaufgehen…

sie haben uns gerne dabei. ein grundsatz unserer begleitung im dorf ist, dass wir nicht mitarbeiten. wir geben den raum, um sichere arbeit verrichten zu koennen.
wir reiten mit und scherzen mit den leuten, waehrend sie die yuca aufklauben und aufs pferd binden. emily mit strohhut und einer kamera, die wohl in den 1930erjahren konstruiert wurde, ich mit einem bananenblatt am kopf und vielen fragen. wem das land gehoert. das ist gemeinschaftsland, bzw gehoert einer familie und wird gemeinschaftlich bearbeitet. die friedensgemeinde hat sich selbst in arbeitsgruppen eingeteilt, eine davon durften wir heute begleiten. ob es hier minen gibt. ja, kann sein ….nein, wir glauben doch nicht. oft ist es nicht so genau zu verstehen, was sie meinen, es wird viel gescherzt. sie kommen jedenfalls immer wieder hierher.

alles scheint ruhig. die militaers verstecken sich vor uns. sie haben unsere praesenz jedoch mit sicherheit bemerkt und das ist schliesslich das ziel unserer begleitarbeit.

begleitend unterwegs

vorige woche begleitete ich gemeinsam mit jon eine organization in medellin, genannt ACA, die mich sehr an die oesterr. bergbaeuer_innen erinnerte. sie begleiten, motivieren und vernetzen baeuer_innen in der region um medellin, viel empowerment/arbeit, bildungsarbeit rund um wissen ueber biolandbau und oekosolidaritaet genauso wie arbeit mit kunst und kulturprojekten.

wir waren mit den ACA leuten und einer delegationsreisegruppe der staatlichen kanadischen EZA, die die ACA finanziell unterstuetzt, unterwegs. wir besuchten das herkunftsdorf eines ACA mitgliedes. derjenige wurde von dort drei mal vertrieben, zwei mal vom staatlichen militaer und einmal von der guerilla. 2004 fluechteten alle leute aus der region in die “turnhalle” des dorfes, wo sie einige wochen lange lebten. sie wurden beschuldigt, die guerilla zu unterstuetzen, was tw auf wahren tatsachen beruhte.

der von uns begleitete ACA aktivist ist jetzt aus politischen gruenden auf der hut von polizei und militaer. er setzt sich in einem rechtsstreit fuer seinen cousin ein, der vor einigen jahren von einem wieder-ins-militaer-eingetretenen-guerilla (hier gibts einen ausdruck dafuer, diese leute werden gerne als informanten wieder rekrutiert) unschuldig, sozusagen als mutprobe, erschossen und sein toter koerper als guerillero verkleidet wurde. falsos positivos heissen die opfer dieser taktik, beliebt, um politischen opponenten oder bevoelkerung, die am falschen platz lebt von staatlicher seite aus kooperation mit bewaffneten widerstandsgruppen in die schuhe zu schieben.

...in kolumbien werden 100e solcher faelle auf die lange bank geschoben. waehrend militaerische massaker in den letzten jahren tendentiell abgenommen haben, werden andere methoden, verwendet, um widerstaendische menschen leise zu halte: mittels jurisdiktion, nicht-nachbesetzung von stellen der volksanwaltschaft….

es herrscht weitgehend straflosigkeit. morden im namen des nationalen militaers will schliesslich nicht bekannt werden. menschenrechte werden in president santos diskurs mit der welt hochgehalten.

gut, deswegen begleiteten wir diese leute. und die kanadier_innen waren aufgeregt. die situation ist so echt, wenn wir mit dabei sind, meinten sie!

der tag verlief ohne zwischenfall, keine polizeilichen durchsuchungen oder aehnliches. unser ausflugsbus kletterte steile gebirgshaenge hinauf, auf dem weg in den osten von antioquien, jahrelang von guerillas kontrolliertes und daher abseits von strassen stark vermintes gebiet - antipersonenminen, in den boden gepflanzt fuer feinde der guerilleros, leidtragend ist jedoch die lokalen baeuerliche bevoelkerung.

aktuell befindet sich die an bodenschaetzen und wasser reiche region im gefecht der nationalen entwicklungsplaene wie riesenstaudammprojekte, gold/ salz und mineral/minen und auch holzabbau. die regierung moechte in dieser gegend eine freie zone fuer minen zum abbau von bodenschaetzen einrichten, um internationale investoren anzulocken. die minerei (wie sagt man auf deutsch?) stellt eine der 5 saeulen in santos entwicklungsplan fuer kolumbien dar.

neben erlaeuterungen ueber die arbeit der ACA in der region und der besichtigung der EZA projekte fuehrten uns jugendliche ein kleines theaterstueck vor: mit dem inhalt, wie mit antipersonenminen umgegangen werden bzw. denen ausgewichen werden kann - ein thema, mit dem die kinder hier aufwachsen!

darueber hinaus hoerten wir persoenliche geschichten von krieg, massakern und immer wieder dem thema des vertrieben-werdens vom eigenen geliebten land.
eine frau erzaehlte von einem massaker von 16 bauern, das vor 15 jahren von paramilitaers mithilfe des staatlichen militaers begangen wurde, in dem ihr ehemann, zwei ihrer brueder, ihr cousin und ihr neffe umgebracht wurden. sie selbst hatte zu dem zeitpunkt 5 kinder, das aelteste davon 5 jahre alt, und die verantwortung fuer ein stiefkind. sie verliessen das gebiet, um dann zurueckzukommen, und wieder vertrieben zu werden. mittlerweile arbeitet sie in einem netzwerk von vertriebenen und opfern des kolumbianischen staates. zum 15 jaehigen gedenkttag wird es im november einen protestmarsch und eine feier geben, der auch viel internationale aufmerksamkeit bekommen soll.

ja, geschichten wie diese sind so praesent! die familien durchschnitten, die haeuser verlassen. das dorf, das wir besuchten, hat jetzt 6000 einwohner, vor 10 jahren hatte es doppelt so viele. viele leute gehen nicht zurueck zu ihrem ursprungsland, viele wurden ermordet oder bedroht, viele junge menschen waehlen das sicherere leben in der stadt.

es ist voll beeindruckend, wenn die leute nach dem erzaehlen dieser geschichten sagen: ja, der schmerz, der bleibt. aber es ist genau der schmerz, der uns die kraft gibt, widerstand zu leisten, aufklaerung der faelle und gerechtigkeit zu fordern!
ich hoere das, doch bleibt es unvorstellbar fuer mich.

trotz der ernsten und komplexen hintergruende genoss ich den tag sehr! meine puzzle-eindruecke von kolumbien und seiner geschichte setzten sich weiter zusammen. ich lernte, was es bedeutet, eine andere begleitaufgabe als das mitleben im friedensdorf zu leisten. ich lernte gleichzeitig die sicht der dorfbewohnerInnen kennen, als auch die der ACA aktivist_innen, und schliesslich die der kanadischen geldgeber_innen. es gab viel austausch, viel bewunderung und wuerdigung der geschichte der leute. und viele offene fragen.

wir sind verantwortlich, gesetze zu entwerfen, die die multinationalen konzerne an der ausbeutung der region hindern! sagten die kanadier_innen. fuer mich war der tag ein gutes beispiel einer gelungenen beziehung zwischen geldgeber_innen und beguenstigten im sueden. es war beziehungsarbeit und geschichtsaufarbeitungsarbeit dessen, was hier geschehen war. hinschauen auf die wunden punkte im nach aussen hin wunderschoen zu bereisenden kolumbien.

eine arbeit, so wie ich sie mir vorstelle. ich fuehlte mich so lebendig!