6.1.12

zoila

sie ist ver-rueckt. zum beispiel taucht sie am sylvestertag ihre haende in unsere fensterlackfarbe u schmiert sie sich ins gesicht. zum beispiel tanzt sie allein am balkon des einzigen zweistoeckigen hauses im dorf, das allein sie bewohnt. sie schleicht nachts um die haeuser u traegt stets ihr machete *das buchmesser, das die leute hier zum arbeiten um den guertel tragen* in der hand.
wenn nicht das messer, dann traegt sie steine und wenn dann unverhofft jemand auftaucht, wie kinder beim fenster oder leute vor ihrem haus, dann wird sie nervoes und setzt an zum wurf. manchmal wenn ich in der nacht dumpfe schlaege hoere, ist sie es, die steine in ihrem haus auf den holzboden oder gegen die wand schmeisst (am anfang dachte ich, das waeren schuesse). tagsueber ist sie oft auf der suche nach essen und laesst hier u da ein ei oder eine banane mitgehen.
sie ist schon so seit einigen jahren. sie ist als einzige im dorf geblieben in zeiten, als es die anderen leute vor angst verliessen.

die kinder lachen ueber sie. fuer mich verkoerpert zoila vieles, das sich unbeschrieben hier zwischen den zeilen abspielt. die erlebte angst, die verluste, die kollektive traumatisierung, die ich mir vorstelle, die stattfindet in den schwierigen zeiten, die nie wirklich aufgehoert haben. ich mag sie gerne, schenke ihr manchmal essen, tanze manchmal mit ihr. ich finde die option, so zu werden wie sie, keine schlechte - unter den gegebenen bedingungen. verruecktheit schafft viele freiraeume. von drohungen, von normen, von machismo, vom krieg, und sie schafft die freiheit, die angst und die wut auszudruecken, die hilflosigkeit und auch die freude bei gemeinsamen feiern.

ich denke sie traegt hier einiges an geschichtsaufarbeitung mit und ausserdem ist sie gar nicht immer verrueckt. ich fuehle mich sehr wahrgenommen von ihr. es gibt geschichten, in denen sie bei notfaellen wichtige funktionen uebernommen hat, zb. information ueberbracht hat.

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